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Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Damit Dein Leben Freiheit Atmet

Titel: Damit Dein Leben Freiheit Atmet
Autoren: Anselm Gruen
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Redlichkeit des Menschen ist in letzter Zeit immer wieder erschüttert worden. Da berichtet die Presse von Politikern, die in die eigene Tasche wirtschaften. Da geben Firmenvorstände zu, die Bilanz gefälscht zu haben. Da wirft man beliebten Lehrern, Erziehern und Priestern vor, Kinder sexuell mißbraucht zu haben. Wenn man täglich die Zeitung aufschlägt, stellt man sich die Frage: Wem kann ich überhaupt noch trauen? So wächst zugleich mit dem Mißtrauen die Sehnsucht nach Klarheit und Ehrlichkeit, nach Lauterkeit und Reinheit. Die Menschen sehnen sich nach Vorbildern, denen sie trauen können, die ihre Berühmtheit nicht für sich ausnützen, sondern die in sich redlich und lauter sind. Es ist letztlich die Sehnsucht nach Reinheit.

    Reinheit war in der Religionsgeschichte immer ein zentraler Begriff. Der Mensch sehnte sich danach, sich rein dem reinen Gott zu nähern. In meiner Jugend hat mich der Begriff Reinheit seltsam berührt. Da wurde Reinheit oft mit sexueller Enthaltsamkeit gleichgesetzt. Rein ist der, der keine sexuellen Phantasien hat. Uns wurde die zwölfjährige Maria Goretti als Märtyrerin der Reinheit als Vorbild hingestellt. Heute sehe ich dieses tapfere Mädchen, das sich ihrem Vergewaltiger energisch widersetzte, mit anderen Augen. Ich bewundere ihren Mut und ihre Klarheit. Doch damals wurde sie uns als Mädchen geschildert, die jede sexuelle Phantasie abwehrte.
    Und so bekam für mich der Begriff der Reinheit etwas Überforderndes. Ich spürte, daß ich nicht so rein sein konnte, wie es das Ideal der Reinheit wollte. Ich konnte nicht jede sexuelle Regung im Keim ersticken und jede sexuelle Phantasie
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    ausschließen. Eine solch absolute Reinheit ist unmenschlich.
    Und wer ein solches Idealbild hinstellt, zeigt dadurch nur seine eigene Angst vor dem Leben, das immer vermischt ist und nie absolut rein. Wer Angst hat vor dem Schmutz, der wird nie rein.
    Wer die sterile Reinheit möchte, der zieht den Schmutz erst recht an. Er merkt gar nicht, wie er vom verdrängten Schmutz eingeholt wird.
    Wenn wir diese übertriebenen Reinheitsideale weglassen, dann ist Reinheit heute doch ein Wort, das die Menschen im Innersten anspricht. Die Menschen sehnen sich nach Reinheit der Gesinnung, nach einem Menschen, der lauter ist, ohne Nebenabsichten, auf den man sich verlassen kann, bei dem man weiß, wo man dran ist. Sie sehnen sich nach innerer Klarheit, nach Einfachheit und Freiheit. Sie spüren, daß ihr Leben vollgestellt ist von all dem, was ihnen die Werbung täglich einredet. Sie sehnen sich nach dem einfachen Leben, das in sich klar ist. Reinheit meint nicht nur Abwaschen von Schmutz, sondern auch Entrümpeln von unnötigem Ballast, Loslassen von allem, was meine Seele nicht mehr atmen läßt. Die Einfachheit schenkt mir die Freiheit aufzuatmen. Einfach ist nicht in erster Linie der Mensch, der auf alles verzichtet, sondern der, der mit sich selbst eins ist, der in sich klar ist, der lauter ist und rein.

    Daß das Thema Reinheit und Reinigung heute aktueller denn je ist, zeigt ein Blick in unsere gesellschaftliche Realität. Da werden in der Werbung ständig Waschmittel angepriesen, die jeden Schmutz vollkommen entfernen. Die Werbung für Seife appelliert nicht nur an das Bedürfnis nach körperlicher Sauberkeit, sondern letztlich »an eine spirituelle Erlebnisschicht, die mit Reinigung untrennbar verbunden ist« (Hartmann 494).
    Sie suggeriert, die Seife könne im Menschen das bewirken, was man früher von Reinigungsritualen erhoffte. In der Werbung werden spirituelle Sehnsüchte angesprochen. Nach einem Schaumbad werde man sich »wie neugeboren« fühlen. Da wird
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    suggeriert, es könne absolute Reinheit geben, der Mensch könne sich von jedem Schmutz befreien. Ratgeberbücher versprechen, daß man von allen psychischen Belastungen frei werden und alle Abhängigkeiten ablegen könne. Da werden Wege empfohlen, wie man immer cool bleibt, wie man sein Übergewicht loswird und wie man sich von heftigen Emotionen verabschieden kann.
    Letztlich taucht auf der psychologischen Ebene das gleiche absolute Reinheitsideal auf, das mir die Spiritualität in meiner Jugend in der Gestalt von Maria Goretti vor Augen gestellt hat.
    Doch alles Extreme stammt von Dämonen, sagen die frühen Mönche. Wenn ich absolute Reinheit wünsche, dann führt das zu Sterilität, Kälte und Unfruchtbarkeit. Und ich erreiche damit nur, daß das Verdrängte um so schneller und heftiger zurückkehrt.

    Das Thema Müll und
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