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Daddy Langbein

Daddy Langbein

Titel: Daddy Langbein
Autoren: Jean Webster
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deinem Lehrer für Rhetorik gesprochen und eine Rede zu deinen Gunsten gehalten. Sie las außerdem einen Aufsatz vor, den du geschrieben hattest, mit dem Titel ,Blauer Mittwoch ’ .“
    Diesmal war Jerushas schuldbewußter Ausdruck nicht gespielt.
    „Es schien mir, daß du wenig Dankbarkeit zeigtest, als du die Anstalt, die so viel für dich getan hat, lächerlich machtest. Wenn es dir nicht gelungen wäre, komisch zu sein, bezweifle ich, ob dir verziehen worden wäre. Aber zu deinem Glück scheint Mr. — das heißt der Herr, der eben fortfuhr —-einen unmäßigen Sinn für Humor zu haben. Auf Grund dieses frechen Aufsatzes hat er angeboten, dich ins College zu schicken.“
    „Ins College?“ Jerushas Augen wurden groß.
    Mrs. Lippett nickte.
    „Er blieb zurück, um die Bedingungen mit mir zu besprechen. Sie sind ungewöhnlich. Der Herr ist, möchte ich sagen, etwas absonderlich. Er glaubt, daß du Originalität besitzt, und er hat die Absicht, dich ausbilden zu lassen, damit du ein Schriftsteller wirst.“
    „Ein Schriftsteller?“ Jerusha war wie betäubt. Sie konnte nur Mrs. Lippetts Worte wiederholen.
    „Ja, das hat er vor. Ob etwas daraus wird, mag die Zukunft zeigen. Er gibt dir ein sehr freigebiges Taschengeld — für ein Mädchen, das keine Erfahrung hat mit dem Geld umzugehen, fast zu freigebig. Aber er hatte alles im einzelnen ausgedacht, und ich fühlte mich nicht berechtigt, Anregungen zu machen. Du sollst über den Sommer hierbleiben, und Miss Pritchard hat sich freundlicherweise bereit erklärt, deine Ausrüstung zu überwachen. Deine Pension und die Studiengelder werden direkt an das College ausbezahlt, und darüber hinaus wirst du während der vier Jahre des Studiums ein Taschengeld von 35 Dollar im Monat erhalten. Das erlaubt dir, mit den übrigen Studentinnen auf gleichem Fuß zu stehen. Das Geld wird dir einmal im Monat vom Privatsekretär des Herrn geschickt, und als Antwort wirst du einmal im Monat einen Dankbrief schreiben. Das heißt, du sollst dich nicht für das Geld bedanken; er wünscht nicht, daß das erwähnt wird; aber du sollst in dem Brief vom Fortschritt deiner Studien und den Einzelheiten deines täglichen Lebens erzählen. Einen Brief, wie du ihn an deine Eltern schreiben würdest, wenn sie noch lebten.“
    „Diese Briefe werden an Mr. John Smith adressiert und an den Sekretär geschickt. Der Name des Herrn ist nicht John Smith, aber er möchte unbekannt bleiben. Für dich wird er nie etwas anderes sein als John Smith. Er verlangt die Briefe, weil er glaubt, nichts fördere die Leichtigkeit im literarischen Ausdruck so sehr wie Briefschreiben. Da du keine Familie hast, mit der du korrespondieren könntest, wünscht er, daß du auf diese Weise schreibst. Er will außerdem deine Fortschritte verfolgen. Er wird die Briefe weder jemals beantworten noch im leisesten beachten. Er verabscheut das Briefschreiben und möchte nicht, daß du ihm eine Last wirst. Wenn sich je die Notwendigkeit einer Antwort ergeben sollte — etwa daß du relegiert werden solltest, was, wie ich. lioffe, nicht passieren wird —, dann kannst, du mit Mr. Griggs, dem Sekretär, korrespondieren. Diese monatlichen Briefe sind deinerseits absolute Pflicht. Sie sind die einzige Bezahlung, die Mr. Smith verlangt. Du mußt sie also pünktlich schreiben, als seien sie eine zu bezahlende Rechnung. Ich hoffe, daß ihr Ton immer respektvoll sein wird, und daß sie deiner Erziehung Ehre antun. Du darfst nie vergessen, daß du an einen Aufsichtsrat des John-Grier-Heims schreibst.“
    Jerushas Augen suchten verlangend nach der Tür. Ihr Kopf war in einem Wirbel der Erregung, und sie wünschte nur, den Banalitäten Mrs. Lippetts entfliehen und nachdenkcn zu können. Sie stand auf und machte versuchsweise einen Schritt zurück. Mrs. Lippett hielt sie mit einer Bewegung zurück. Dies war eine oratorische Gelegenheit, die ausgenutzt werden mußte.
    „Ich hoffe, du bist gehörig dankbar für dieses große Glück, das dir widerfahren ist. Nicht viele Mädchen in deiner Stellung haben je eine solche Gelegenheit, in der Welt hochzukommen. Du mußt immer daran denken —.“
    „Ich — ja, Frau Vorsteherin, ich danke vielmals. Ich glaube, wenn das alles ist, muß ich gehen und einen Flicken auf Freddie Perkins Hosen nähen.“ Die Tür schloß sich hinter ihr, und Mrs. Lippett sah mit fallendem Kinn hinterdrein, während ihre Rede in der Luft hängenblieb.

DIE BRIEFE DES FRÄULEIN

JERUSHA ABBOTT

an

HERRN
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