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Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)

Titel: Da geht noch was: Mit 65 in die Kurve (German Edition)
Autoren: Christine Westermann
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hing, schwer wie eine Ritterrüstung.
    Wenn wir sonntags in die Konditorei gingen oder auch mal in eine Gaststätte, trug sie ein Kleid mit weißem Spitzenkragen und Parfüm aus einem Fläschchen, das so aussah, als sei es noch Vorkriegsware.

    Oma Bocholt hatte ein zerknittertes, gutmütiges Gesicht. Sie war sehr klein und sehr breit, ihr Ehemann dafür weniger als eine halbe Portion, ein Strich in der Landschaft mit einer dicken Brille. Ich habe es gemocht, wie rücksichtsvoll und liebenswürdig die beiden Eheleute miteinander umgingen.
    Meine jüngste Schwester war ihr Augenstern, schließlich war sie das Original-Enkelkind. Mit meiner anderen Schwester und mir hatten Oma und Opa Bocholt zwei Instant-Enkelkinder bekommen. Falls sie das schwierig fanden, haben sie es uns nicht merken lassen.
    Wenn ihr Sohn, mein Stiefvater, nach Oma Bocholts Meinung zu streng gewesen war, konnte sie mit einer heftigen Umarmung blitzschnell aus der Deckung kommen. »Der Papi meint das nicht so«, war der Standardsatz, mit dem sie mich, wenn er nicht hinguckte, an ihren großen Busen drückte.

     
    Die Omas von heute tragen Jeans und Lippenstift, und wenn sie die Wahl haben zwischen einem Urlaub in Husum mit Badelatschen oder einer Reise nach Südfrankreich, könnte es sein, dass sich die Mehrzahl für Südfrankreich entscheidet.
    Meine Mutter hätte das ganz sicher getan. Sie war zeitlebens auf ihr Äußeres bedacht, ging viel aus, machte Reisen, auch wenn das Geld knapp war, hat geflirtet, was das Zeug hielt, und die Bezeichnung Oma, sie war ja schon über sechzig, war ihr ein Graus. Macht mich bloß nicht zur Oma, hat sie uns drei Töchtern schon eingeschärft, als wir noch junge Frauen waren. Enkelkinder hätte sie liebend gern gehabt, aber Oma wollte sie nicht sein. Hinter diesem Begriff verbarg sich für sie ein Rattenschwanz an Attributen von orthopädischen Schuhen über Hüfthalter bis Haftcreme für die dritten Zähne. Alles Dinge, mit denen sie nichts zu tun hatte.
    Meine Mutter war schon damals eine junge Alte. Die jungen Alten, den Begriff haben die Altersforscher von heute eingeführt, meine Mutter wäre an die Decke gegangen, hätte sie das gehört.
     
    Dreimal war sie in ihrem Leben verheiratet, ein viertes Mal wäre durchaus eine Option gewesen, es gab einen Kurschatten, den sie kennengelernt hatte, als sie sich nach fünfzig Jahren das Rauchen abgewöhnen wollte. Aber warum sich vom letzten Ehemann scheiden lassen? Zu mühsam, zu teuer, ging doch auch so. Die jüngste Tochter war erwachsen, also sich fix trennen, mit dem Neuen in einer anderen Stadt zusammenziehen. Mein Stiefvater hat übrigens auch nicht lange gefackelt, eine Anzeige aufgegeben, eine neue Liebe gefunden, mit der er noch bis zu seinem Tod zusammenlebte.
    Alt? Der Begriff kommt mir für beide damals wie heute nicht in den Sinn. Meine Mutter war eine Draufgängerin, ich habe es heimlich immer ein wenig bedauert, dass sie nicht in einer Zeit lebte, in der die Babypille schon erfunden war und alleinerziehende Mütter nicht schief angesehen wurden.
    Ich hatte nie vor zu heiraten, ich hatte durch meine Mutter zu viele Ehen erlebt, in denen es nun mal gar nicht funktioniert hatte.
    Außerdem wurde ich in den Siebzigerjahren sexuell erwachsen, wo es als undenkbar spießig galt, selbstjahrelanges Zusammenleben durch eine Heirat zu legalisieren.
    Es ist schade, dass ich nie mit meiner Mutter darüber reden konnte, warum sie sich genau diese Ehemänner ausgesucht hat. Was sie erst an ihnen geliebt und schließlich abgestoßen hat. Die Auswahl war interessant, lässt zumindest darauf schließen, dass sie nicht so recht wusste, was sie wollte. Der erste Ehemann war dreißig Jahre älter, der zweite vier Jahre jünger. Beim dritten passte das Alter, aber sonst nichts.
    Meine Lebenspartner hat sie immer sehr genau beobachtet. Wollte sie sehen, ob ich ähnliche Fehler wie sie machen würde? Wenn sie meine Freunde kennenlernte, hat sie nicht im Entferntesten versucht, sich als meine Mutter oder gar potenzielle Schwiegermutter zu präsentieren. Sie war Frau, attraktiv obendrein, mehr fand sie, war nicht nötig. Das hat sich auch nicht geändert, als sie alt wurde. Alt?
    Sie ist mit 64 Jahren gestorben. In Todesanzeigen nennt man dieses Alter »zu früh«. Weil 64 Jahre zu wenige für ein ganzes Leben sind? Weil man mit 64 Jahren noch viel zu jung ist, um zu sterben?
     
    Meine Mutter hat nicht mehr erlebt, wie ihre älteste Tochter mit 51 Jahren beschloss, doch
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