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Cyberabad: Roman (German Edition)

Cyberabad: Roman (German Edition)

Titel: Cyberabad: Roman (German Edition)
Autoren: Ian McDonald
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Aufblitzen kostspielig behandelter Zähne und präzise zusammengelegtem Daumen und Zeigefinger. Tadellos. Shaheen Badoor Khan verspürt eine tiefe Beschämung, wenn einer seiner Minister den Mund öffnet und seine Ahnungslosigkeit öffentlich zur Schau stellt, insbesondere vor den kultivierten Banglas. Er hat schon vor langer Zeit verstanden, dass für die Politik keine außergewöhnliche Begabung, Fertigkeit oder Intelligenz nötig ist. Dafür hat man seine Berater. Das Geschick eines Politikers besteht darin, gute Ratschläge anzunehmen und den Eindruck zu erwecken, von selbst darauf gekommen zu sein. Shaheen Badoor Khan kann es nicht ausstehen, wenn jemand vielleicht glaubt, er hätte seine Untergebenen nicht gründlich instruiert. Gehen Sie mit, Shah , hatte Premierministerin Sajida Rana ihn aufgefordert. Und hindern Sie Srinavas daran, sich zum Idioten zu machen.
    Der bengalische Eisberg-Minister kommt durch den Gang herangetrampelt und zeigt sein Bärenlächeln. Shaheen Badoor Khan weiß aus seinen Quellen von den Territorialkriegen zwischen den verschiedenen bengalischen Verwaltungsbehörden, die sich darum streiten, wessen Amtsbezirk einen Zehn-Kilometer-Brocken vom Amery-Schelfeis bekommen soll. Spannungen zwischen den vereinten Hauptstädten sind etwas, das sich immer zum Vorteil Bharats ausnutzen lässt. Am Ende hat die Umwelt der Wissenschaft und Technik nachgegeben, mit ein wenig Unterstützung durch Entwicklung und Industrie, um die Verträge unter Dach und Fach zu bringen, und nun steht ihr Minister im Gang, die Arme auf die Rückenlehnen gestützt. Shaheen Badoor Khan kann seinen Atem riechen.
    »Nicht wahr? Und wir haben die ganze Arbeit selber geleistet. Wir sind nicht zu den Amerikanern gerannt, um unsere Wasserversorgung in Ordnung bringen zu lassen, wie sie es in Awadh mit ihrem Damm gemacht haben. Aber das alles wissen Sie ja bereits.«
    »Früher hat uns der Fluss zu einem geeinten Land gemacht«, stellt Shaheen Badoor Khan fest. »Jetzt zanken wir uns wie Kinder um Mutter Ganga. Awadh, Bharat, Bengalen. Der Kopf, die Hände, die Füße.«
    »Da sind viele Vögel«, sagt Srinavas, der durch das Fenster späht. Der Eisberg zieht eine helle Wolke hinter sich her, wie Rauch aus einem Schiffsschornstein. Schwärme von Seevögeln stürzen sich zu Tausenden ins Wasser, um silbrige Sardinellen zu erbeuten.
    »Das beweist nur, dass die rotierende Kaltwasserströmung funktioniert«, sagt der Klimatologe, während er versucht, hinter seinem Minister sichtbar zu bleiben. »Wir transportieren hier nicht nur einen Eisberg, sondern ein komplettes Ökosystem. Manche Vögel sind uns seit den Prinz-Edward-Inseln gefolgt.«
    »Der Minister würde gern wissen, wann Sie damit rechnen, daraus einen Nutzen zu ziehen«, erkundigt sich Shaheen Badoor Khan.
    Naipaul fängt an, mit dem Wagemut und dem Ausmaß der bengalischen Klimakontrolle zu prahlen, doch das Wettergenie schneidet ihm das Wort ab. Shaheen Badoor Khan blinzelt überrascht angesichts dieser unverzeihlichen Unterbrechung. Haben diese Banglas keine Ahnung von gutem Benehmen?
    »Das Klima ist keine alte Kuh, die man dorthin treiben kann, wo man sie haben möchte«, sagt der Klimatologe, dessen Name Vinayachandran ist. »Es ist eine äußerst raffinierte Wissenschaft, und es geht um winzige Verschiebungen und Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit zu gewaltigen Konsequenzen auswachsen. Stellen Sie sich einen Schneeball vor, der einen Berg hinunterrollt. Hier eine Temperatursenkung von einem halben Grad, dort die Verlagerung einer Meeresthermokline um ein paar Meter, anderswo eine Druckveränderung um ein Millibar ...«
    »Zweifelsohne«, bestätigt Shaheen Badoor Khan, »aber der Minister fragt sich, wie lange es dauert, bis diese kleinen Auswirkungen an ... diesem Schneeball ...«
    »Unsere Simulationen sagen eine Rückkehr zur klimatischen Norm innerhalb von sechs Monaten voraus«, erklärt Vinayachandran.
    Shaheen Badoor Khan nickt. Er hat seinem Minister sämtliche Hinweise gegeben. Jetzt kann er seine eigenen Schlußfolgerungen ziehen.
    »Also wird all dies«, sagt Bharats Minister für Wasser und Energie Srinavas mit einer Handbewegung in Richtung des fremden Eises draußen im Golf von Bengalen, »viel zu spät kommen. Ein weiterer ausgefallener Monsun. Wenn Sie es schmelzen und per Pipeline zu uns schicken würden, könnte es von Nutzen sein. Oder können Sie dafür sorgen, dass der Ganges rückwärtsfließt? Das würde uns vielleicht
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