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Confusion

Confusion

Titel: Confusion
Autoren: Neal Stephenson , Nikolaus Stingl
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den feuchten Sand ab. Dann begannen seine Blicke umherzuschweifen und nach einem geeigneten Platz dafür zu suchen. Währenddessen fing er an, das Beil geistesabwesend hochzuwerfen. Da dessen ganzes Gewicht in seinem Kopf lag, wirbelte der Griff wild umher, während es durch die Luft kreiste. Doch Moseh fing das Beil jedes Mal geschickt auf. Dann blieb sein Blick an einem der alten vertrockneten Baumstämme hängen, die in den Sand gerammt worden waren, um die Galeere so abzustützen, dass ihr Rumpf frei lag. Er fixierte dieses Ziel und warf das Beil noch zwei, drei Mal hoch; dann führte er das Werkzeug weit hinter den Kopf, schob die Zunge vor, hielt einen Moment inne und ließ das Beil losfliegen. Es beschrieb eine einzige träge Umdrehung, während es mehrere Faden Luft durchmaß und dann mit einem Mal anhielt, eine Spitze seiner Klinge, hoch und trocken, im Holz des Baumstamms vergraben.
    Die sieben Rudersklaven kletterten auf den Sockel der gewaltigen Mauer hinauf und steuerten auf das Stadttor zu. Jack schloss sich der Menge an, obwohl er in Erwartung eines Peitschenhiebs über den Rücken unwillkürlich die Schultern hochzog. Aber es gab keinen Hieb. Je näher er dem Tor kam, desto aufrechter und freier wurde sein Schritt, und er spürte, wie sich um ihn und Moseh herum eine
Gruppe sammelte: der reizbare Holländer, der japanische Jesuit, ein Schwarzafrikaner mit klebrigen Locken, der Ägypter namens Nyazi und ein Spanier mittleren Alters, der unter irgendeiner spastischen Störung zu leiden schien. Als sie das Stadttor passierten, drehte dieser Bursche sich um und rief den Janitscharen, die dort Wache standen, etwas zu. Jack verstand nicht jedes Wort von seinem Spanisch, aber es war so etwas wie: »Hört gut zu, ihr Knaben fickender heidnischer Abschaum, wir haben uns insgeheim alle miteinander verschworen!« Was nicht gerade dem entsprach, was Jack unter diesen Umständen gesagt hätte – aber Moseh und die anderen tauschten nur ein breites, wissendes Grinsen mit den Janitscharen aus, und schon waren sie in der Stadt: der Mördergrube, dem Wespennest, der Geißel der Christenheit, der festen Burg des Glaubens.
     
    Die Hauptstraße von Algier war ungewöhnlich breit und dennoch vollgestopft mit Türken, die draußen saßen und aus Wasserpfeifen, so groß wie Springbrunnen, Tabak rauchten, aber Jack, Moseh und die anderen Sklaven hielten sich nicht lange dort auf. Moseh schoss durch einen spitz zulaufenden Schlüssellochbogen, der so eng war, dass er sich seitwärts drehen musste, und führte die anderen in einen steinernen Korridor, der auch nicht viel breiter war und sie zwang, im Gänsemarsch zu gehen und sich an die Wände zu drücken, wenn ihnen jemand entgegenkam. Es war fast wie der Flur im rückwärtigen Teil eines alten Gebäudes, nur konnte Jack, als er nach oben schaute, zwischen glatten Mauern, die sich zehn bis zwanzigYard über seinem Kopf erhoben, hier und da ein Stückchen Himmel leuchten sehen. Leitern und Brücken waren ganz oben zwischen den Dächern montiert worden und verbanden nun die Terrassen und Dachgärten der Stadt zu einem hoch über dem Boden gespannten privaten Netz. Manchmal sah Jack eine schwarz verhüllte Gestalt von einer Seite zur anderen huschen. Man konnte sie nur vage ausmachen, denn sie waren dunkel und flüchtig wie Fledermäuse, aber sie schienen dieselbe Art von Kleidung zu tragen wie Eliza, als Jack ihr unter Wien begegnete, und an der Art, wie sie sich bewegten, konnte Jack erkennen, dass sie auf jeden Fall Frauen waren.
    Unten auf der Straße – falls man dieses Wort überhaupt für einen so schmalen Durchgang verwenden konnte – gab es keine Frauen. Männer dagegen in einer unglaublichen Vielfalt. Die Janitscharen, die das Infanteriekorps ( Ocak ) bildeten, waren leicht zu erkennen – manche
sahen griechisch oder slawisch aus, die meisten hatten jedoch einen asiatischen Zug um die Augen, und alle waren prachtvoll gekleidet: bauschige, plissierte Hosen, gegürtet mit einer Schärpe, die alle möglichen Pistolen, Krummsäbel, Dolche, Börsen, Tabaksbeutel, Pfeifen und sogar Taschenuhren festhielt. Über einem weiten Hemd eine oder mehrere reich verzierte Westen, gleichsam eine Art Schaukasten für Seidenbänder, Goldnadeln und Musterbücher feiner Stickerei. Ein Turban oben, spitz zulaufende Pantoffeln unten und über allem manchmal noch ein langer Umhang. So viel zu den Mitgliedern des Ocak , denen von allen, die an ihnen vorbeigingen, größter Respekt
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