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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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Beute einen kleinen Hoffnungsschimmer. Sie klammert sich mit ganzer Kraft daran. Sie schleppt sich vorwärts bis zur Tür. Ich bin schon ganz aus ihren Gedanken verschwunden. Sie robbt durch ihr Blut, erreicht die Tür, sieht die Treppe, sieht die Tür des Nachbarn. Nur drei Meter, nur noch zwei Meter, nur noch ein Meter. Sie hebt die Hand, schwer wie ein Amboß, kratzt an der Nachbartür, wieder und wieder. Die Tür öffnet sich endlich, und der Nachbar, das bin ich.« Er beginnt unheilvoll zu lachen.
    Eine halbe Stunde später ruft Mina mich an: »Man hat ein Paket vor unserer Tür abgelegt.«
    »Faß es auf keinen Fall an!« schreie ich. »Und bewahr die Ruhe. Nimm die Kinder und verschwinde. Keine Hektik, Liebling. Alarmiere die Nachbarn. Das ganze Gebäude muß evakuiert werden. Ich komme …«
     
    Das Paket liegt vor meiner Wohnungstür. Zwei Pyrotechniker hören es in einer unerträglichen Stille ab. Sicherheitskräfte haben die Straße abgesperrt. Mina und die Kinder warten aschfahl und stumm in einem Zellenwagen. Sie zittern am ganzen Leib.
    Ich beobachte die Umgebung. Ich spüre, daß Habibo ganz nah ist, so nah, daß ich auf ihn spucken könnte. Und alle Gesichter kommen mir verdächtig vor.
    Die beiden Pyrotechniker nehmen schließlich das Paket auseinander. Als sie aus dem Gebäude kommen, gerät die Menge in Bewegung.
    »Blinder Alarm«, beruhigt mich der Diensthöhere.
    In dem Paket finde ich Seife für meine Totenwäsche, ein Leichentuch und eine Gebetskette. Ein alter Brauch aus unserer Gegend.
    Ich nehme Lino zur Seite und trage ihm unauffällig auf: »Versuch, meinen Cousin Kader in Bejai’a zu erreichen. Sag ihm, daß ich ihm Mina und die Kinder schicke. Sie dürfen auf keinen Fall in Algier bleiben.«
     
    Drei Tage später, auf der Straße nach Zeralda, wird mein Wagen von einem Meteor gestreift. Ich diskutiere gerade über Funk mit Lino und merke gar nicht, wie mich eine fette Limousine überholt. Plötzlich rempelt sie gegen meine Tür und schüttelte mich von Kopf bis Fuß durch. Ich erinnere mich nur noch, daß die Straße uneben wurde, dann, daß mich der Straßengraben verschlang, schließlich das Nichts …
     
    »Mehr Glück als Verstand«, beruhigt mich der Arzt, während er sich die Röntgenbilder ansieht. »Ihr Schädel ist so hart wie die Eisenkugel eines Sträflings.«
    Ich weiß nicht, ob es sich dabei um ein Kompliment oder um eine Diagnose handelt, aber ich bin ordentlich erleichtert. Ich ziehe mich vor dem Spiegel wieder an. Mit dem Verband, der mir den Schädel einhüllt, sehe ich aus wie ein Fakir, dessen Zöpfe in eine Mühle geraten sind.
    Habibo ruft mich um vier Uhr morgens an: »Du hättest mir fast den Abend verdorben.«
    »Ich werde das nächste Mal besser aufpassen, nicht wahr, Didi …?«
    Am anderen Ende der Leitung wird aus vollem Halse gelacht.
    »Didi ist tot, Habibo. Man hat ihn in ein Loch gesteckt und mit Stahlbeton zugeschüttet. Die Bande von Sid Lankabout, kaputt! Nur du und ich sind noch übrig. Wir werden uns prächtig unterhalten … Wo hast du eigentlich deine verlausten Gören hingebracht? Ich werde sie wiederfinden. Ich werde Pastete machen aus ihrem Gehirn.«
    »Nun mal langsam! Du hast gesagt, ich wäre schon tot, und ich lebe noch.«
    »Aber nein, du bist tot. Vollkommen tot. Nur du selber denkst, daß du noch von dieser Welt bist. Dein Totenschein wurde gleichzeitig mit dem Dienstvertrag unterzeichnet. Man sagt mir nach, daß ich meine Opfer beerdige, bevor sie noch auf die Welt kommen.«
    »Beweis es.«
    Ich lege auf.
    Er ruft mich sofort wieder an.
    »Verdammter Hurensohn. Ich kann es nicht ausstehen, wenn man mir das Wort abschneidet. Mach das nie wieder mit mir.«
    Ich reiße das Telefonkabel heraus.
     
    Es ist Montag. Ein griesgrämiger Himmel ergießt seinen Mißmut über die Stadt. Die Sonne meines Landes deprimiert. Die Greuel, die ihr die Nacht hinterläßt, sind stärker als ihre Magie.
    Jeden Morgen erfahren wir aus dem Tagesbericht, daß ein Kind getötet, eine Familie dezimiert, ein Zug angezündet, ein anderer Winkel des Landes heimgesucht wurde. Ich zwicke mich, bis ich blute, um sicher zu sein, daß ich nicht träume.
    Nein, es ist kein böser Traum. Auf der guten alten Erde Numidiens bringen sich die Brüder mit außerordentlicher Grausamkeit gegenseitig um.
    Unter allen Völkern sind wir das »radikalste«. Wir sind davon überzeugt, die Besten oder aber die Schlimmsten zu sein. Von der goldenen Mitte haben wir nie etwas
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