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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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mustere ihn gemächlich von oben bis unten.
    Wenn er denkt, daß er sich auf seine Immunität als
    Parlamentspreßwurst mit Hütchen verlassen kann,
    ist er ein Optimist.
    Mein Gastgeber drängt mich in eine Ecke und
    liest mir die Leviten: „Sachte, Llob, meine Gäste
    haben einen langen Arm.“
    „Sie kamen mir doch gleich so schimpansenhaft
    vor.“
    „Idiot! Ich gebe dir die Chance, gute Beziehun-
    gen anzuknüpfen, und du benimmst dich wie …“
    „Ich habe ein Magengeschwür“, unterbreche ich
    ihn.
    „Na und?“
    „Mein Hausarzt hat mir davon abgeraten, so ed-
    les Weißbrot zu essen.“
    „Das schwarze ist dir also lieber?“
    „Genau.“
    „Gut, dann bleib dabei.“
    Spricht’s, wendet sich einem zwielichtigen Bür-
    germeister zu und läßt mich stehen.
    Ich fühle mich gar nicht wohl in meiner Haut. Ich
    versuche, mich einzugewöhnen, aber es ist nicht
    leicht. Diese Feenwelt, von Musik umspült, in die
    da und dort das schwärmerische Lachen angetrun-
    kener Weibsbilder einbricht, die Wahnsinnskaros-
    sen, die im Park wie heilige Kühe herumstehen, der
    Prunk und die grenzenlose Überheblichkeit der
    Bonzen, der Vollmond am Himmel, das verhei-
    ßungsvolle Rascheln des Reichtums – alles an die-
    sem Ort verursacht mir Brechreiz.
    Das Algerien, das ich kenne, ist ganz anders.
    In meinem Land quellen die Friedhöfe über vor
    Tränen und Blut, die Rechtschaffenen huschen im
    Schutz der Mauern durch die Gassen, um dem bö-
    sen Blick zu entgehen. Hier dagegen, in diesem Taj
    Mahal revanchistischer Eunuchen, ist alles in But-
    ter. Nicht das geringste Problem, nicht das kleinste
    Gefühl von Unsicherheit. Die Schurken meiner
    Heimat haben sich einen abgeschlossenen und
    keimfreien Mikrokosmos geschaffen. Wenn mir
    Klettermasten je imposanter als Denkmäler er-
    schienen, dann an diesen Orten des Wohlstands.
    Ich sammle meine Minderwertigkeitskomplexe
    ein, steige in meine Blechkiste, streife absichtlich
    den Kotflügel einer dicken Limousine – leider ist
    es mein Zastava, der etwas abbekommt – und hol-
    pere mühsam in Richtung der Anhöhen der Stadt,
    um wieder durchatmen zu können: in einer Luft,
    die zwar auch stinkt, aber nicht vor Geld.

    3

    Ich sitze in meinem verbeulten Lehnstuhl und beo-
    bachte, wie allmählich der Morgen heraufzieht. Die
    Explosionen und Sirenen haben sich die ganze
    Nacht über gegenseitig angebrüllt. In der Oberstadt
    brannte ein Lagerhaus nieder. Hinter dem Hügel
    ging eine Bombe hoch. Und dann war da noch die-
    ser verdammte Durchzug, der die Poltergeister in
    meinem Haus zum besten hält und mich bis zum
    Morgen wachhielt.
    Von meinem Fenster aus kann ich das nesselnde
    Elend der Kasbah sehen, seine Abwasserschwärze,
    und dahinter das Mittelmeer. Es gab eine Zeit, da
    es mir, dem eifrigen Patrioten, von meinem Wach-
    turm aus schien, als ginge aus diesen Elendsquar-
    tieren, die von Krieg und Not arg gebeutelt waren,
    der Adel hervor, als sei das pergamentene Gassen-
    gewirr die Heimstatt der Tapferkeit. Das war die
    Zeit, da Algier weiß wie die Tauben und die Arglo-
    sigkeit war, da die Erde in den Augen unserer Kin-
    der soeben wieder neue, jungfräuliche Horizonte
    gewonnen hatte. Es war die Zeit der Parolen und
    des Chauvinismus; die Zeit, da die Propaganda es
    besser als jeder fabulierende Greis verstand, uns
    das Blaue vom Himmel zu versprechen, während
    sich der Abend über einen bestürzend nutzlosen
    Tag herabsenkte.
    Heute kriechen unter den Röcken der Nation, aus
    dem Trümmerhaufen der Mißstände, Ausgeburten
    des Schreckens hervor, und die Heimat, auf die ich
    stolz war, ist abstoßender als die schlimmste Bar-
    barei.
    Von nun an, nur wenige Schwimmstöße vom
    Punkt ohne Wiederkehr entfernt, gibt es in meinem
    Land Kinder, die man einfach so abknallt, nur weil
    sie in die Schule gehen, und Mädchen, denen man
    den Kopf abschlägt, nur weil man den anderen
    Angst einjagen muß.
    Von nun an, nur wenige Gebete von Gott ent-
    fernt, gibt es in meinem Land Tage, die nur anbre-
    chen, um wieder zu verschwinden, und Nächte, die
    nur schwarz sind, um sich unserem Gewissen an-
    zugleichen …
    Aber was kann man von einem System erwarten,
    das sich schon am Morgen seiner Unabhängigkeit
    auf die Witwen und Waisen seiner eigenen Märty-
    rer gestürzt hat, um ihnen Gewalt anzutun?

    Mina wirft sich unter der Bettdecke hin und her.
    Ihre Madonnenstimme haucht mir verschlafen zu:
    „Komm ins Bett.“
    „Ist ja schon sechs“, erwidere ich.
    Sie
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