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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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nicht mehr, seit ein Trio von Bärtigen an
    seiner Halsschlagader Maß genommen hat, um ein
    passendes Messer für ihn auszusuchen.
    Jetzt ist er traumatisiert, der Leutnant. Traut sich
    kaum in die Nähe des Fensters. Am Abend, wenn
    er das Licht zum Schlafengehen löscht, hat er der-
    maßen Schiß, daß man das Klappern seiner Gallen-
    steine hören könnte.
    Da sitzt er also hinter seiner Schreibmaschine,
    mit tiefen Schatten unter den Augen seines Pierrot-
    gesichts. An den Fingern hat er schon keine Nägel
    mehr, aus seinem Blick ist jeder Ausdruck gewi-
    chen, der ganze Kerl sieht zum Steinerweichen
    mitleiderregend aus.
    „Weißt du, was den Burschen passiert, die sich
    zu viele Sorgen machen, Lino? Sie bekommen
    glatzköpfige Kinder.“
    „Ich weiß nicht einmal, ob ich morgen noch von
    dieser Welt bin.“
    „Bade dich nur in deinem Opferlamm-
    Pessimismus. Wen rührt das heute noch … Hast
    du den Bericht gelesen?“
    „Ja.“
    „Bilanz?“
    „Zwei Schulen, eine Fabrik, eine Brücke, ein
    Stadtpark und dreiundvierzig Strommasten zer-
    stört.“
    „Menschliche Verluste?“
    „Drei Polizisten, ein Soldat auf Urlaub, ein Leh-
    rer und vier Feuerwehrleute.“
    „Warum die Feuerwehrleute?“
    „Die Leiche, die sie gerade wegbringen wollten,
    war vermint.“
    „Nun ja …“
    Ich krame eine Akte hervor, die seit Urzeiten in
    den Tiefen der Schublade verschimmelt. Ein paar
    lose Blätter, das Photo eines Spitzbärtigen in af-
    ghanischer Soutane und eine Hexenjagd, die im
    schlimmsten Fall nie mehr aufhören wird.
    Ich betrachte den Guru auf dem Photo: achtund-
    zwanzig Jahre. Nie in der Schule gewesen. Immer
    arbeitslos. Messianische Reisen quer durch Asien,
    reißerische Predigten und ein unversöhnlicher Haß
    auf die ganze Welt. Und ausgerechnet der spielt
    sich als Weltverbesserer auf: vierunddreißig Mor-
    de, zwei Bände voller Fatwas, einen Harem in je-
    dem Untergrundnest und jeder seiner Finger ein
    Zepter.
    Wahrhaftig, es sind die Erleuchteten, die das
    Feuer der Hölle schüren.
    Ich kannte einmal einen kleinen Dealer. Einen
    ganz und gar abstoßenden Dreckskerl, in der Tod-
    sünde war er so in seinem Element wie die Filzlaus
    in der Unterhose eines Hippies. Heute hat er eine
    abgesägte Schrotflinte in der Hand und einen Ko-
    ranvers auf den Lippen und rächt sich munter an
    allen, die ihm einmal Schwierigkeiten gemacht
    haben.
    Ob es den verehrten Imamen gefällt oder nicht,
    falls dieses Miststück je im Paradies stranden soll-
    te, lasse ich mich von einem Klempner kastrieren.
    Beim Pöbel gilt er trotzdem als Märtyrer. Seit der
    Terrorismus im Namen der Religion antritt, wissen
    die kleinen Leute nicht mehr wohin. Alles, was
    nach Fundamentalismus riecht, verunsichert sie.
    Wie seit jeher lassen sie die Tragödie über sich
    ergehen und halten sich nicht weiter damit auf.
    „Nach mir die Sintflut!“ sagt schon das alte
    Sprichwort. Und keine Einsamkeit ist schlimmer
    als die Einsamkeit des Schiffbrüchigen.
    Vielleicht werde ich eines Tages wieder sorglos
    durch die Straßen meiner Stadt schlendern können.
    Wird die Nacht mir im Schlaf zärtliche Geheimnis-
    se offenbaren. Werde ich Kinder um mich haben
    und auf der Nase eine Sonnenbrille, um mich wie
    auf Kreuzfahrt zu fühlen. Werde ich es mir wieder
    erlauben können, ins Theater zu gehen, über meine
    Mißgeschicke zu lachen, oder auch nur meine
    Milch beim Krämer um die Ecke zu holen, ohne
    mich vor jedem Gaffer zu fürchten. Aber ich glau-
    be nicht, daß ich meine Mitbürger je wieder mit
    den gleichen Augen wie früher ansehen werde.
    Etwas hat das Band zum Heimathafen für immer
    gekappt. Groll werde ich keinen hegen, dafür ist in
    meinem Schmerz kein Platz, aber die Schmeiche-
    leien der süßesten Mädchen könnten mich nicht
    mit denen versöhnen, die ich heute für meine mög-
    lichen Totengräber halte.
    Ich werde für meine Freunde nur mehr lauwarme
    Gefühle aufbringen, und der Nachbar vom selben
    Stock wird mir so fremd vorkommen wie ein Indi-
    aner in Wyoming.
    Die Überlebenden dieses Wahnsinns von einem
    Krieg werden durch meine Gedanken spuken wie
    Geister, die aus ihren Gräbern verbannt sind und
    vor denen sich die Häuser verschließen, die ir-
    gendwo zwischen Himmel und Erde schweben, zu
    schuldbeladen, um sich Gott zu nähern, und zu
    verrufen, um sich zu den Menschen zu gesellen.
    Nichts wird mehr sein wie zuvor. Die Lieder, die
    mich einmal begeistert haben, werden nicht mehr
    zu mir vordringen. Die
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