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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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blaue Uniform. Bernard lief los. Schon nach wenigen Metern musste er abrupt stehen bleiben, weil vor ihm ein Rollstuhl in den schmalen Gang geschoben wurde.
    *
    Der Hubschrauber landete keine zwei Minuten, nachdem Theis ihn angefordert hatte, auf dem Bahnhofsplatz, nicht weit vom Taxistand. Durch den Luftwirbel der Rotoren kämpften sich Walde, Gabi und der Luxemburger Polizist an die Maschine heran. Gabi und Walde nahmen auf den beiden hinteren Plätzen in der engen Glaskabine Platz, Theis setzte sich neben den Piloten. Kaum hatten sie sich angeschnallt und die Kopfhörer aufgesetzt, stieg die Maschine in rasantem Tempo auf. Walde schien es, als würde er mit einem Schleudersitz in die Höhe katapultiert – nur sein Magen blieb unten. Er legte eine Hand auf seinen Bauch, als müsse er ihn dort festhalten und schaute sich nach einer Spucktüte um.
    Unter ihm entfernte die Erde sich so schnell, als würde sie in die Tiefe stürzen.
    Die angestrahlte Festung über der Schlucht und dahinter die Lichter der Stadt verschwanden aus seinem Blick, als der Hubschrauber, nur noch langsam Höhe gewinnend, eine Kurve flog. Weiter ging es entlang der dunklen Schneise der Schienen, die aus dem Bahnhof hinausliefen. Wo sie sich verzweigten, flog der Hubschrauber über die Schleifen der Autobahn und dann hinein in den dunklen Himmel.
    »Hoffentlich kommen wir keiner Maschine im Landeanflug auf Findel in die Quere!«, hörte er Gabi aus seinem Kopfhörer sprechen.
    »Keine Bange!«, erwiderte eine Stimme, die Walde nicht gleich dem Piloten zuordnete. »Wir orientieren uns an der Autobahn. Falls die nicht mit einer Landebahn verwechselt wird, kann uns nichts passieren.«
    »Sonst fliegen Sie doch einfach der Mosel entlang«, sagte Gabi.
    »Aber die fließt, aus welchen Gründen auch immer, um Nancy herum, und da wollen Sie doch hin.«
    Walde löste seine rechte Hand vom Bauch und legte sie auf die Sitzlehne. Die linke hielt noch die Spitze der Lehne umklammert.
    Vor ihnen führte die Autobahn wie eine große nächtliche Lichterprozession in eine Stadt hinein, wurde von ihr geschluckt, um sich am anderen Ende wieder zu formieren.
    *
    Bernard war auf seinen Platz zurückgekehrt. Die beiden Männer waren immer noch in ihre Fachsimpeleien zum aktuellen Fußballgeschehen vertieft.
    Der Zug durchpflügte die Dunkelheit. Über dem Rollgeräusch lag ein auf- und abschwellender Singsang. Für einen Moment glaubte Bernard, darin Sirenen von französischen Streifenwagen zu hören, die dem Zug hinterher jagten. Er fühlte sich gefangen. Wie lange würde es noch bis Nancy dauern? Seine Uhr zeigte zweiundzwanzig Uhr fünfundzwanzig. Hatte der Schaffner ihn wirklich erkannt? Wahrscheinlich sah er Gespenster.
    Bernard ging wieder hinaus auf den Gang. Als der Zug bremste, musste er sich am Türgriff festhalten. Sekundenlang war er davon überzeugt, sie machten Halt auf freier Strecke, doch dann liefen sie in einen kleinen Bahnhof ein. Der Bahnsteig war leer, auch in dem kleinen Bahnhofsgebäude tat sich nichts. Die Türen öffneten sich. Niemand stieg ein, niemand aus. Sollte er hier aussteigen? Aber wie konnte er in so einem kleinen Kaff untertauchen? Die Türen schlossen sich, und der Zug nahm wieder Fahrt auf.
    *
    Die Schornsteine schienen wie riesige Finger aus dem Dunkel nach ihnen zu greifen. Der Hubschrauber überflog nun weiträumige Industrieanlagen. Die meisten waren, bis auf die Spitzen hoher Schlote und Masten, kaum beleuchtet.
    Eric Theis hatte inzwischen mehrere Gespräche über Funk geführt, die Walde nicht auf seinem Kopfhörer empfangen konnte.
    Jetzt meldete sich der Luxemburger über den Bordfunk: »Die Franzosen möchten den Zugriff erst in Nancy durchführen. Sie haben Bedenken, den Zug auf offener Strecke zu stoppen und dadurch womöglich eine Geiselnahme zu provozieren.«
    »Falls er nichts bemerkt hat, ist das in Ordnung«, sagte Walde.
    »Die französischen Kollegen werden in Nancy ein genügend großes Aufgebot haben, um die Gefahr für die anderen Reisenden so gering wie möglich zu halten. Dort endet der Zug. Die Zielperson muss aussteigen. Sie hat laut Schaffner ein Ticket für den Schnellzug nach Paris.« Theis fügte an. »Wenn es denn Nummer eins ist.«
     
    Bernard stand am Fenster des Gangs. Seine Stirn lag auf dem an die Scheibe gestützten Unterarm. Er krümmte sich, als in die linke Seite seines Unterleibs ein plötzlicher Schmerz fuhr. Wie immer reagierte sein Verdauungssystem auf die Anspannung. Sein Körper
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