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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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über die beiden am Boden liegenden Männer steigen, um in das Appartement zu gelangen. Eine Diele gab es nicht. Kochnische, Wohn- und Schlafraum befanden sich auf etwa zwanzig Quadratmetern. Auf dem fleckigen Teppichboden lag eine Sporttasche, als habe sie dort jemand beim Betreten des Raums abgestellt. Walde sah einen niedrigen Tisch, darauf eine leere Weinflasche und ein Glas mit einem getrockneten Weinrest, ein aufgeschlagenes Fernsehprogramm, eine Fernbedienung.
    Es klingelte an der Wohnungstür. Gabi wechselte einige Worte an der Sprechanlage, während Walde auf dem Weg durch das Zimmer innehielt. Da lag jemand im Bett, mit dem Rücken zum Zimmer. Als Walde näher trat, konnte er dunkle Haare und Bartstoppeln auf den Wangen erkennen. Er berührte den Mann an der nackten Schulter. Die Haut war kalt.
    »Du brauchst den Puls nicht mehr zu fühlen, der ist tot«, kam Siggis dunkle Stimme vom Boden.
    »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Walde beugte sich weiter vor, um in das Gesicht des Mannes zu sehen.
    »Ihr habt mich ja nicht ausreden lassen«, meckerte Siggi.
    Die Augen des Toten waren geschlossen, was Walde dankbar zur Kenntnis nahm. Immer wieder hatte er bei Toten mit offenen Augen das Gefühl, aus einem tiefen inneren Reich des Todes beobachtet zu werden. Das war verrückt, aber er empfand es nun einmal so.
    Vom Gang her waren schnelle Schritte zu hören.
    »Der Notarzt ist da!«, rief Gabi, während ein Mann bereits über die beiden gefesselt am Boden liegenden Männer hinwegsetzte, als gehöre das zu seiner täglichen Routine.
    »Ich glaube, Sie kommen umsonst.« Walde deutete auf den Toten.
    Der Mann mit der reflektierenden Weste stellte seinen Notfallkoffer ab. »Vielleicht zu spät oder vergeblich, aber gewiss nicht umsonst, schließlich muss ich auch leben.«
     
    »Sagen Sie mir Ihre Handynummer«, forderte Grabbe den am Boden liegenden Mann auf, als Walde auf den Flur kam.
    Erstaunlicherweise hatte sich bisher niemand aus den übrigen Appartements blicken lassen.
    »Er ist der Bruder des Toten«, wurde Walde von Harry informiert. »Er behauptet, den Notarzt gerufen zu haben.«
    »Ich hab die Rufnummerunterdrückung aktiviert«, kam es vom Boden.
    »Das haben wir gleich.« Harry rief bei der Notrufzentrale an und ließ sich die Nummer des Anrufers geben, der den Notarzt zum Regenbogenviertel bestellt hatte.
    »Die Nummer stimmt«, bestätigte Harry, als er seine Zahlen mit denen auf Grabbes Notizblock abglich. »Egal ob Rufnummerunterdrückung oder sonst welche Tricks. Die haben ein Gerät, das alle Nummern anzeigt. Anonyme Anrufe gibt es nicht. Es sei denn, man ruft aus einer öffentlichen Telefonzelle an und sucht anschließend das Weite. Apropos Weite, warum hatten Sie es eben so eilig?«
    »Ich dacht’, die wären zurückgekommen!« Der Mann wies mit dem Kopf zur offenen Appartementtür.
    »Wer?«
    »Die … also die das gemacht haben … mit meinem Bruder. Wir wollten seit langem mal wieder zusammen ins Studio … was für die Muckis tun.« Er versuchte, den Brustkorb zu spannen. »Ich dacht, er hätt verschlafen.«
    »Haben Sie einen Schlüssel zu seiner Wohnung?«
    »Nee, zur Haustür bin ich gekommen, als gerade einer raus ist. Das Schloss an seiner Wohnungstür war aufgebrochen. Ich hab meinen Bruder im Bett gefunden, und dann sind die da reingekommen«, er schaute hoch zu Siggi und Erich, die gerade von Polizeibeamten aus dem Appartement geführt wurden. »Und ich wollte abhauen, weil ich gedacht hab, das wären die … also die, die meinen Bruder auf dem Gewissen ham.«
    *
    Walde maß an Gabis bis auf den Filter heruntergerauchter Zigarette, dass sie bereits einige Minuten mit Erich und Siggi im Besprechungszimmer saß. Die beiden Männer starrten mit hängenden Köpfen auf die Tischplatte. Sie hatten nicht einmal ihre Rauchutensilien ausgepackt.
    Erich war der Erste, der das Schweigen brach. In seiner Stimme schwang der trotzige Ton eines zu Unrecht gescholtenen Jungen mit. »Wie, zum Teufel, konnten wir ahnen, dass der Kerl tot im Bett liegt«, er presste die Lippen zusammen, schloss für einen Moment die Augen, seine Hand fuhr auf die linke Brustseite, »und der Täter uns, oder, wie man’s nimmt, wir ihm in die Arme laufen.«
    »Das Herz?«, fragte Walde.
    »Nein, halb so schlimm, der Kerl hat nur versucht, mir die Rippen zu brechen, als er aus dem Appartement gestürmt ist. Nebenbei hat er Siggi ein blaues Auge verpasst.«
    Walde schaute zu Siggi, der einen Ellenbogen
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