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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01
Autoren: G Albin
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liegenden Augenblick entfernten. Es waren nicht einfach nur Fasern im Gewebe von Arras – es waren die Bänder der Zeit. Versuchsweise griff ich nach einer der goldenen Fasern. Ermutigt von dem Gefühl ihrer seidigen Oberfläche griff ich fester zu, um die Zeitbänder mit Gewalt zu dem Punkt zurückzubewegen, an dem die Vogelmutter noch auf ihre Eier aufgepasst hatte. Aber die Stränge widersetzten sich. Ich konnte machen, was ich wollte, sie krochen immer weiter vorwärts. Zurück ging es nicht.
    Die Vogelmutter ist nie wiedergekehrt. Ich habe jeden Morgen nach den kleinen blauen Eiern gesehen, bis Papa mich eines Tages von dieser Pflicht befreite, indem er das ganze Nest entfernte. Ich hatte die Eier nicht berührt, aber wahrscheinlich wusste die Vogelmutter einfach nicht, wo sie suchen sollte, und kam deswegen nicht zurück.

    Es gibt nur die Dunkelheit. Es ist feucht, und durch Tasten finde ich heraus, dass der Boden meiner Zelle an einigen Stellen glatt, an anderen uneben ist. Eines aber ist er überall: kalt. Die Vorbehalte meiner Eltern gegenüber der Gilde waren offenbar begründet. Ich frage mich, ob meine Mutter weiß, wo ich bin. Ich stelle sie mir vor, wie sie in unserem Haus herumirrt und mich in ihrem leeren Nest sucht.
    Wenn sie überhaupt noch lebt. Mein Herz beginnt zu rasen. Ein ungekanntes Gefühl steckt wie ein Kloß in meiner Kehle, als ich an den Leichensack denke, aus dem das Blut auf den Boden läuft. Und jetzt haben sie Amie. Bei der Vorstellung, dass sie ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, krampfen sich mir die Eingeweide zusammen. Während der ganzen Zeit, in der meine Eltern mit mir geübt haben, habe ich den Grund dafür nie verstanden. Sie sagten, dass sie mich nicht verlieren wollen. Mein Vater hat von den Gefahren gesprochen, die mit zu großer Macht einhergehen, doch dabei ist er immer vage und unbestimmt geblieben. Wenn er sich zu sehr aufregte, unterbrach meine Mutter ihn schnell.
    Die Gilde gibt uns Essen und kontrolliert das Wetter und die Gesundheitspflaster. Ich muss einfach daran glauben, dass Amie nun in den Händen einer Regierung ist, wie sie es in der Vorstellung meiner Kindheit war. Was auch immer ich verbrochen habe – sie wird man nicht dafür verantwortlich machen. Andererseits hatte ich offensichtlich ein falsches Bild von der Gilde und von meinen Eltern. Dass Amie gefangen wurde, ist meine Schuld. Es waren meine Hände, die mich bei der Prüfung verraten haben. Ich fahre mit den Fingern an den rauen Kanten der Steine entlang, bis sie rissig werden und bluten.
    Die Fakten sind erdrückend. Meine Eltern lehrten mich, meine Gabe zu verheimlichen. Alles, was ich zu tun hatte, war, einen Monat lang bei der Prüfung zu schauspielern. Dann wäre ich aus dem Dienst entlassen worden. Und wäre ich nicht so selbstsüchtig gewesen, so ängstlich, meine Mutter und meinen Vater am Abend der Einberufung zu enttäuschen, dann wäre nichts von alldem geschehen. Allerdings weiß ich nicht, wie die Dinge dann jetzt lägen. Wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich mich bei der Prüfung verraten hatte – wären wir entkommen? Wann immer ich meine Erinnerung nach irgendwelchen Anhaltspunkten durchforste, erscheinen mir meine Eltern als stark, aber isoliert vom Rest der Gemeinde. Sie haben sich wirklich geliebt. Papa hat für Mama kleine Liebesbriefe im Haus versteckt. Wenn ich welche davon fand, war es mir zwar einerseits unangenehm, aber andererseits gaben sie mir ein Gefühl der Sicherheit. Er hat sie respektiert, und nur sehr wenige Männer in Romen respektieren ihre Frauen. Ich habe immer gedacht, das sei der Grund, warum ich keine Webjungfer werden sollte – weil es unsere Familie auseinanderreißen würde, und unsere Familie war alles, was wir hatten. Aber hinter der glücklichen Fassade hat es bei uns immer Geheimnisse gegeben. Vor allem mein Training, das vor Amie geheim gehalten werden musste. Sie sagten mir, dass sie es noch nicht verstehen würde, in dem gleichen Tonfall, in dem sie auch immer über meinen Zustand sprachen.
    Im Dunkeln kann ich mich nicht mehr vor dem Offensichtlichen verstecken: Damals wollte ich nicht sehen, dass sie Hochverrat begingen. Ich habe die unterschwelligen Botschaften in ihren Worten ignoriert. Ich habe gehört, was ich hören wollte, um mich sicher zu fühlen, und nicht das, was sie tatsächlich gesagt haben. Und jetzt habe ich keine Gelegenheit mehr, meine Eltern wirklich kennenzulernen. Ich kann nur noch die Bruchstücke
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