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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Autoren: Anne Rice
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zu trinken, nein, ich wollte ihr nichts antun, ich wollte sie nur küssen, ihre Haut ganz leicht mit meinen Fangzähnen ritzen und so zusammen mit ihrem Blut ihre Geheimnisse schmecken. Aber das war ein grauenvoller Gedanke, ich durfte ihn nicht weiterspinnen. Ich entzog ihr meine Hand.
    »Was hast du gesehen?«, fragte ich schnell und verdrängte den nagenden Hunger meines Geistes und meines Körpers. »Unheil, großes und kleines, mein Freund, eine Lebenslinie, so lang wie kaum eine, funkelnde Kraft und eine ganze Brut von Sprösslingen.«
    »Hör auf, das kann ich nicht akzeptieren. Es ist schließlich nicht meine Hand.«
    »Aber du hast keinen anderen Körper mehr«, konterte sie. »Glaubst du nicht, dass sich der Körper der neuen Seele, die in ihm wohnt, anpasst? Eine Handfläche verändert sich im Laufe der Zeit. Aber ich will dich nicht erzürnen. Ich bin nicht gekommen, um dich zu untersuchen, nicht, um mit kalter Faszination einen Vampir anzugaffen. Ich habe schon zuvor Vampire gesehen, war ihnen sogar schon recht nahe, in eben diesen Straßen hier. Ich bin gekommen, weil du mich darum gebeten hast und weil ich … bei dir sein wollte.«
    Ich nickte so überwältigt, dass ich für einen Moment nicht sprechen konnte. Mit einer raschen Geste bat ich um Schweigen. Sie wartete ab.
    Dann schließlich sagte ich: »Hast du die Ältesten um Erlaubnis für dieses Treffen gebeten?«
    Sie lachte, aber es war keineswegs ein grausames Lachen. »Nein, natürlich nicht.«
    »Dann lass dir dies gesagt sein«, sagte ich: »Genauso begann es mit mir und dem Vampir Lestat. Ich informierte die Ältesten nicht. Ich ließ sie nicht wissen, wie oft ich ihn traf, dass ich ihn in mein Haus einließ, dass ich mich mit ihm unterhielt, mit ihm reiste und ihn lehrte, wie er seinen übernatürlichen Körper zurückbekommen konnte, nachdem der Körperdieb ihn durch List zum Tauschen veranlasst hatte.«
    Merrick versuchte, mich zu unterbrechen, aber ich ließ es nicht zu, sondern fragte sie eindringlich: »Und ist dir klar, was mir dann passierte? Ich dachte, ich wäre zu clever, als dass Lestat mich je verführen könnte. Ich dachte, ich wäre zu alt und weise, um der verführerischen Idee der Unsterblichkeit zu erliegen. Ich hielt mich für moralisch überlegen, Merrick, und nun siehst du, zu was ich ge worden bin.«
    »Willst du mir deshalb nicht lieber schwören, dass du mir nie etwas antun wirst?«, fragte sie mit reizend erhitztem Gesicht. »Willst du mir nicht versichern, dass Louis de Pointe du Lac mir nie etwas antun würde?«
    »Natürlich schwöre ich das. Aber einen Rest Anstand besitze ich noch, und der zwingt mich, dich daran zu erinnern, dass ich ein Geschöpf mit übernatürlichem Appetit bin.« Wieder wollte sie etwas einwenden, aber ich ließ sie nicht zu Wort kommen.
    »Allein meine Gegenwart mit ihrer Ausstrahlung von Macht kann deinen Willen, das Leben hinzunehmen, wie es ist, aushöhlen, kann deinen Glauben an eine moralische Ordnung zerfressen, kann deine Bereitschaft zerstören, einen ganz gewöhnlichen Tod zu sterben.«
    »Ach, David«, sagte sie scheltend, weil ich diesen förmlichen Ton angeschlagen hatte. »Sprich nicht so geschwollen. Was geht wirklich in dir vor?« Sie saß sehr aufrecht auf ihrem Stuhl und musterte mich von oben bis unten. »Du siehst gleichzeitig jungenhaft und weise aus in diesem neuen Körper. Deine Haut ist so dunkel wie meine! Selbst der Schnitt deines Gesichts ist leicht asiatisch. Und trotzdem bist du David, mehr denn je zuvor.« Ich erwiderte nichts.
    Mit benommenem Blick sah ich zu, wie sie ihren Rum trank. Hinter ihr verdunkelte sich der Himmel langsam, doch die Helligkeit und Wärme elektrischer Lampen verdrängte draußen die Nacht. Nur das Café mit den wenigen staubigen Glühbirnen hinter der Bar war in trübes Dämmerlicht gehüllt. Merricks kühles Selbstvertrauen machte mich frösteln. Auch, dass sie mich so furchtlos berührt hatte, dass nichts an meiner vampirischen Natur sie abstieß, ließ mich frösteln, aber schließlich konnte ich mich gut daran erinnern, welche Anziehungskraft Lestat in seinem verhaltenen Glanz auf mich gehabt hatte. Fühlte sie diese Anziehung auch? Begann diese fatale Faszination schon zu wirken?
    Sie hielt ihre Gedanken halbwegs verborgen, wie es immer ihre Art gewesen war.
    Ich dachte an Louis, an seine Bitte. Er wünschte sich verzweifelt, dass sie ihre Zauberkraft einsetzte. Aber sie hatte Recht. Ich brauchte sie. Ich brauchte sie - ihre
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