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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
Autoren: Michelle Paver
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gehören.
    Er richtete ein stummes Gebet an den Wald – und zog sich das Wams über den Kopf.
    Renns Mund öffnete sich, aber es kam kein Ton heraus.
    Fin-Kedinns Hand umkrampfte den Knauf des Stockes.
    »Ich hab’s euch doch gesagt«, rief Aki. »Der dreizackige Spieß! Er ist ein Seelenesser!«

Kapitel 2

    »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«, fragte Fin-Kedinn. Beim Klang seiner Stimme wäre ein erwachsener Mann bleich geworden.
    »Ich wollte ja«, sagte Torak, »aber ich …«
    »Aber was?«
    Torak ließ den Kopf hängen.
    Sie waren allein auf der Lichtung zurückgeblieben. Der Anführer des Eberclans und sein Sohn hatten sich auf den Weg gemacht, um ihren Clan zusammenzurufen. Boten zu den in der Nähe lagernden Clans waren ausgesandt worden. Fin-Kedinn, der vor Akis Ankunft eine Rentierhaut geschabt hatte, hatte seine Arbeit wieder aufgenommen und den anderen damit ein Zeichen gegeben, ebenfalls wieder ihren Beschäftigungen nachzugehen und ihn mit Torak allein zu lassen. Einige waren zur Jagd aufgebrochen, andere zogen flussaufwärts, um Fische zu stechen. Von Renn war keine Spur zu sehen.
    Im Rabenlager herrschte geisterhafte Stille. Torak bemerkte, dass am Ufer ein mit Leder bespanntes Boot lag; jemand hatte ein Netz aus Knüpfgras über einem Wacholderbusch ausgebreitet. Die Birken ringsum leuchteten in sattem Grün, im Unterholz schimmerte ein bunter Teppich aus blauen Anemonen, gelben Ranunkeln und silbrigen Fischschuppen. Nichts wies auf das Unwetter hin, das soeben über seinem Haupt entfesselt worden war.
    Torak sah zu, wie Fin-Kedinn die Haut über ein Gestell warf und straff zog. Die Adern auf den Unterarmen des Rabenältesten traten vor Anstrengung hervor und seine für gewöhnlich so gemessenen und gelassenen Bewegungen wirkten geradezu fahrig.
    »Wenn du dich mir anvertraut hättest, hätten wir einen Ausweg finden können.«
    »Ich habe gehofft, ich könnte das Zeichen loswerden, ohne dass du davon erfährst.« Torak begriff erst in diesem Moment, wie dumm sich das anhörte: Er verdeckte eine Lüge durch eine andere.
    Mit der Rippe eines Hirsches schabte Fin-Kedinn mit raschen, heftigen Strichen das Fett von der Haut. »Du hast das böse Zeichen in meinen Clan gebracht.«
    »Das wollte ich nicht, bitte, Fin-Kedinn, du musst mir glauben! Ich habe mich mit allen Kräften gewehrt, aber sie waren einfach überlegen.«
    Erbost schleuderte der Rabenhüter den Hornschaber auf den Boden. »Aber du warst derjenige, der sie aufgesucht hat! Du bist ihnen zu nahe gekommen.«
    »Ich musste einfach! Sie hatten Wolf in ihrer Gewalt!«
    »Ach, es gibt immer einen Grund!« Fin-Kedinns Stimme klang so zornig, dass Torak unwillkürlich zurückwich. »Du bist genau wie dein Vater! Ich habe ihn vor den Seelenessern gewarnt, aber er wollte nicht auf mich hören. Er sagte, sie meinten es gut, und nannte sie Heiler, selbst nachdem sie sich dem Bösen zugewandt hatten.« Er verstummte. »Er hat für seinen Starrsinn mit dem Leben bezahlt. Genau wie deine Mutter.«
    Torak sah die tiefen Sorgenfalten um den Mund des Rabenhüters und den Schmerz in den grimmigen blauen Augen. Das war alles seine Schuld. Er hatte diesen Mann, den er lieben gelernt hatte, zutiefst verletzt.
    Der Rabenhüter nahm die Arbeit wieder auf. Torak roch die stinkenden Schwaden, die von der Haut des toten Rentiers aufstiegen, und sah, wie das blutige Fett über den Kamm des Schabers quoll. Er stellte sich vor, wie ein Messer in seine eigene Haut eindrang und das Zeichen der Seelenesser herauslöste. »Ich schneide es heraus«, sagte er. »Renn hat gesagt, dass es dafür ein Ritual gibt.«
    »Das kann nur bei Vollmond geschehen. Wir sind im dunklen Mond. Du hast deine Zeit verspielt.«
    Ein Windstoß trug den Geruch von Regen mit sich und Torak erschauerte. »Fin-Kedinn, ich bin kein Seelenesser. Das weißt du.«
    Der Schaber hielt inne. »Wie willst du das beweisen?« Fin-Kedinns sorgenschwerer Blick war beinahe noch furchterregender als sein Zorn. »Begreifst du denn nicht, Torak? Was ich glaube, spielt keine Rolle. Du musst vor allem die anderen überzeugen. Dabei kann ich dir nicht helfen. Der Clan entscheidet über dein Schicksal.«
    Torak verließ der Mut. Er gehörte zum Wolfsclan, doch sein Vater hatte ihn stets von der Sippe ferngehalten und er kannte die Angehörigen seines Clans nicht. Nur die wenigsten kannten sie. Der Wolfsclan war zutiefst beschämt gewesen, als sein Schamane – Toraks Vater – sich zum Seelenesser
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