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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Autoren: Christopher Ross
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weiter unter den Sitz, bis kaum noch Raum zwischen ihr und der Wand blieb.
    »Hätte mich auch gewundert«, sagte er so laut, dass sie es hören konnte, »so dumm ist sie nicht. Das Miststück ist mit allen Wassern gewaschen!«
    Die Schritte entfernten sich, und sie entspannte sich ein wenig, dankbar dafür, dass es noch kein Licht in dem Wagen gab und er sich nicht gebückt und unter jedem Sitz nachgesehen hatte. Wahrscheinlich hatte er Angst, sich seine teure Hose schmutzig zu machen. Trotz ihrer misslichen Lage musste sie lachen. Ein Gentleman wie er überließ die Drecksarbeit lieber anderen.
    Die Tür hinter ihrem Sitz öffnete sich und wurde wieder geschlossen. Frank Whittler verließ den Zug und trieb sofort wieder die Polizisten an. »Seht bei den Güterwagen nach! Irgendwo muss sie sich verkrochen haben!«
    Die Polizisten eilten davon, und als sie vorsichtig ihr Versteck verließ und aus dem Fenster spähte, sah sie Frank Whittler langsam zur Uferstraße zurückgehen. Er zog eine kleine Flasche aus der Innentasche seines Mantels, nahm einen kräftigen Schluck und sagte irgendetwas, das sie nicht verstand.
    »Dieser miese Lügner!«, fluchte Clarissa leise vor sich hin.

4
    Der durchdringende Pfiff einer Lokomotive ließ Clarissa aus dem Schlaf schrecken. Sie öffnete verwirrt die Augen und stellte entsetzt fest, dass sie mit dem Kopf an der Schulter eines Mannes lehnte. Er roch nach einem Duftwasser, wie es eigentlich nur Damen benutzten, und nach frischer Seife. Dicht vor ihren Augen glänzte eine goldene Krawattennadel im ersten trüben Tageslicht.
    Sie wollte sich aufrichten und setzte gerade zum Sprechen an, als sich sein rechter Arm fest um ihre Schultern legte, und er mit der freien Hand ihren Kopf an seine Schulter drückte. »Kein Wort!«, warnte sie seine flüsternde Stimme. »Oder wollen Sie im Gefängnis landen? Die Polizei kommt!«
    Sie verschluckte die heftigen Worte, die ihr auf der Zunge lagen, und stellte sich schlafend. Nur einmal öffnete sie kurz die Augen und sah einen Polizisten durch den Wagen kommen. Ein älterer Officer, der die wenigen Passagiere, die schon auf ihren Plätzen saßen, erschöpft musterte. Seine schlurfenden Schritte kamen langsam näher. Es fiel ihr schwer, die Augen geschlossen zu halten und so regelmäßig zu atmen, dass sie keinen Verdacht erregte.
    »Guten Morgen, Mister«, hörte sie ihn sagen. »Ihre Gattin?«
    »Meine Verlobte«, antwortete der Mann, an dessen Schulter sie lehnte. Sein Duftwasser stieg ihr in die Nase. »Wir haben eine lange Anreise hinter uns, und die Arme ist ziemlich erschöpft. Wir wollen nach Calgary … Dringende Geschäfte. Ich handele mit Grundstücken, wissen Sie?« Er klang wie ein vornehmer Gentleman. »Darf ich fragen, wonach Sie suchen, Officer?«
    »Nach einer jungen Frau«, antwortete der Polizist bereitwillig. Er schien einigen Respekt vor dem eleganten Gentleman zu haben, »dem Dienstmädchen von Mister Whittler. Sie hat seinem Sohn fünfhundert Dollar aus der Brieftasche gestohlen und muss sich noch irgendwo in der Stadt aufhalten.«
    »Sie hat den Sohn des Eisenbahn-Managers bestohlen?« Clarissa nahm an, dass der Gentleman den Kopf schüttelte. »Dann wäre sie schön dumm, wenn sie sich ausgerechnet in einem Zug verstecken würde. Hier entdeckt Whittler sie doch am ehesten. Über den Telegraf kann er an jedem Bahnhof seine Leute warnen, die brauchen sie nur abzufangen, wenn sie irgendwo aussteigt.«
    »Hab ich Mister Whittler auch gesagt.« Der Officer sprach mit gedämpfter Stimme, als hätte er Angst, sie zu wecken. »Wenn Sie mich fragen, ist sie bei einer Freundin untergekrochen und wartet, bis sich die Aufregung gelegt hat. Aber Mister Whittler will wohl ein Exempel an ihr statuieren. Besonders der junge Mister Whittler. Er hat uns sogar eine Belohnung versprochen, falls wir die Diebin finden. Leider haben wir keine genaue Beschreibung.«
    »Es gibt keine Fotografie oder Zeichnung von ihr?«
    »Nur eine Beschreibung, und die passt auf jede zweite junge Frau. Wir sollen auf allein reisende Frauen achten.« Obwohl Clarissa die Augen geschlossen hatte, glaubte sie den Officer grinsen zu sehen. »Ihre Verlobte wecken wir besser nicht. Mit einem Gentleman wie Ihnen wird sie sich ihren Lebensunterhalt wohl kaum als Dienstmädchen verdienen müssen. Auf Wiedersehen.«
    »Auf Wiedersehen, Officer. Viel Glück bei der Suche!«
    Der Officer öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Sie atmete befreit auf, als sie hörte, wie
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