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Chaplins Katze, Clintons Kater

Chaplins Katze, Clintons Kater

Titel: Chaplins Katze, Clintons Kater
Autoren: Helga Dudman
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starben. Der Tod war ihm in Gedanken nie fern. Der einstmals berühmte Essayist William Hazlitt schreibt über Gray in seinem Essay ›The Shyness of Scholars‹ [Die Schüchternheit der Gelehrten] Folgendes (denn alles, was in jenen Tagen im literarischen England Rang und Namen hatte, war miteinander bekannt, und man berichtete bereitwilligst von den Neurosen der anderen):

    Gray ist zu bemitleiden. So stark war seine extreme Bescheidenheit oder peinliche Genauigkeit, dass sie den Kontakt mit den anderen am College unterband, dass sie ihn daran hinderte, sich unter die Herde zu mischen, bis er sich schließlich wie die Eule vor jeglicher Gesellschaft und vor dem Tageslicht verschloss und auch wie die Eule gejagt und verspottet wurde, wann immer er zufällig auftauchte…
    Er starb wahrscheinlich an nervlicher Erregung über das Ansehen, das seine Gelehrsamkeit, sein Geschmack und sein Genie seinem Namen verschafft hatten.

    Hazlitt lässt sich nun ausführlich über Walpoles immer wieder einmal unterbrochene Freundschaft zu Gray aus, eine traurige Variante des Gedichtes vom Kauz und der Katze. (Und was ist mit Hazlitt selbst? Spätere Experten nannten ihn »streitsüchtig und wenig liebenswert«. Wie weit wir doch durch die neugierige Selima in dieses Thema eingedrungen sind!) Walpole war ganz anders – gesellig, dem Klatsch sehr zugeneigt, an politischen Ereignissen interessiert und glücklich und zufrieden in seiner »kleinen gotischen Burg« Strawberry Hill, die er selbst entworfen hatte und wo er eine Privatdruckerei gründete. Hier erschienen Grays ›Pindarsche Ode an den Fortschritt der Poesie‹ und viele seiner eigenen Werke.
    Um Walpole in der Weltgeschichte einordnen zu können, soll nun ein Brief zitiert werden, den er während der Amerikanischen Revolution an seinen Freund Sir Horace Mann, den britischen Gesandten in Florenz, schrieb: In aller Bescheidenheit kann ich nicht umhin zu denken, dass ich gewisse prophetische Züge besitze. Zumindest haben wir Amerika noch nicht erobert. Ich habe Ihnen nicht sofort von unserem Sieg in Boston berichtet, weil der Erfolg nicht nur sehr zweifelhaft schien, sondern auch weil die Eroberer dreimal mehr Verluste hatten als die Besiegten…
    Der [amerikanische] Kongress schläft nicht und hat einen Generalissimo ernannt, Washington, einen sehr fähigen Offizier [der übrigens in Mount Vernon die ersten Präsidentenkatzen beherbergte].

    »Nun«, schließt der Zyniker Walpole, »wir wären wahrhaft besser auf Raubzug nach Indien gegangen, das wäre ein weitaus lohnenderer Handel gewesen.«
    Walpole schrieb an seine Freunde über alle möglichen Themen, angefangen von der Beerdigung des Schauspielers David Garrick (ausschweifend) bis hin zu den ungeheuren Diners und Bällen in den in der Nähe gelegenen
    Herrenhäusern, auf denen er im reifen Alter von fünfzig Jahren noch mit jungen Damen tanzte.
    Es folgt eine Episode über einen »unterhaltsamen« Streit mit dem Historiker Edward Gibbon (der sein Haus mit einem Pommeraner und einem Papagei teilte und das berühmte Buch
    ›Geschichte des Verfalls und Untergangs des Römischen Reiches‹ geschrieben hat). Gibbon schickte in der Hoffnung auf Lob ein Exemplar des Buches an Walpole. Stattdessen mokierte sich dieser über ihn (Katzenfreund gegen Hundefreund?).
    Walpole zitiert dieses Gespräch in einem Brief. Er habe zu Mr Gibbon gesagt:

    Es tut mir leid, dass Sie sich an einem so widerwärtigen Thema wie der Geschichte Konstantinopels versucht haben.
    Es steht darin so viel über Arier und Eunomier und Halbpelagier… dass Sie zwar die Geschichte so gut wie nur möglich geschrieben haben mögen, ich aber wohl nicht die Geduld aufbringen werde, sie auch zu lesen.
    Gibbon lief rot an. Seine gerundeten Gesichtszüge quetschten sich in scharfe Kanten. Er schürzte sein kleines Mündchen, klopfte heftig auf seine Schnupftabaksdose und sprach: »Sie ist so noch nie zusammengestellt worden« – so gut zusammengestellt, wollte er hinzufügen –, aber er verschluckte diese Worte.
    Nun, seither habe ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen, obwohl er sonst ein-, zweimal in der Woche zu Besuch gekommen ist.

    Zurück zu Gray, der über Selimas Tod berichtete. Sterblichkeit ist das Thema in mehr als einem seiner berühmteren Gedichte.
    In der ›Elegie auf einem Dorfkirchhof‹ gibt es einen Vierzeiler über einen anonymen Menschen – der sich besser benahm als Selima und daher nicht namentlich erwähnt wird.

    Weitab von allem
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