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Chancen, Risiken, Folgen 4

Chancen, Risiken, Folgen 4

Titel: Chancen, Risiken, Folgen 4
Autoren: Sissi Kaipurgay
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Wahrheit zu sagen, klopfe, und noch während ich warte, verwerfe ich die Idee gleich wieder.
    „Ja?“, höre ich ihn rufen.
    Ich drücke die Klinke nieder, finde die Tür unverschlossen und schiebe sie auf. Matthew sitzt auf dem Balkon, nur in Shorts, ein Buch auf dem Schoß. Die silberfarbene Prothese glänzt im Sonnenschein und zieht meine Blicke genauso magisch an wie der Rest von dem Mann. Er ist schmal und fast einen Kopf kleiner als ich. Seine blauen Augen sind ängstlich geweitet und er scheint auf eine Reaktion von mir zu warten, so angespannt, wie er sich aufgerichtet hat.
    „Hallo, ich habe Langeweile und hoffe, ich darf dir ein wenig auf den Geist gehen.“
    Matthew blinzelt, dann bricht ein erleichtertes und fröhliches Lachen aus ihm heraus. Ich stimme ein, gehe zu ihm hinüber und trete auf den Balkon. Unaufgefordert lass ich mich in den zweiten Liegestuhl fallen, strecke die Beine aus und wende mein Gesicht der Sonne zu.
    „Hier oben ist es viel schöner als am Pool. Kein Wunder, dass du dich zurückgezogen hast“, murmele ich und seufze zufrieden.
    „Du kennst den wahren Grund“, erwidert Matthew und eine Spur Bitterkeit schwingt in seiner Stimme mit.
    Als ich zu ihm hinsehe, pustet er sich gerade eine Haarsträhne aus dem Gesicht, verzieht den Mund zu einem freudlosen Grinsen und schaut runter zum Meer.
    „Wie gern würde ich einmal an den Strand gehen und ins Wasser“, flüstert er und in diesem Moment passiert es.
    Es fährt mir in den Magen und Unterleib, macht mich hart und gleichzeitig rummst mein Herz einmal hart gegen die Rippen: Ich habe mich verliebt, gerade eben. Wahrscheinlich gucke ich wie ein Vollidiot, denn Matthew fährt hoch und starrt mich an.
    „Ole? Alles klar? Komm aus der Sonne, du bist ja schon ganz rot im Gesicht.“
    Er steht auf und ruckelt an dem Schirm herum, bis der Schatten auf mich fällt. Das gibt mir die Gelegenheit, meine Gesichtszüge zu sortieren und einen Notfallplan auszuhecken.
    „Oh ja, mir ist auch ganz heiß“, murmele ich wahrheitsgemäß und lege die Hände über meinen Schoß, um die verräterische Ausbuchtung zu verdecken. „Kann ich etwas Wasser haben, bitte?“
    „Klar“, erwidert Matthew, lächelt mir zu und geht ins Zimmer.
    Es sieht fast aus, als wäre er normal und hätte … Oh nein, das habe nicht gerade ich gedacht, oder? Mein Gesicht wird noch wärmer, dafür schmilzt die Härte in meiner Körpermitte. Meine Augen folgen Matthew, der zur Minibar läuft, sich bückt und eine Flasche Wasser herausnimmt. Wie macht er das nur, sich mit diesem Kunstbein so natürlich zu bewegen, als wäre es sein eigenes? Ich muss wohl gestarrt haben, denn seine Miene verzieht sich unangenehm berührt, während er mit der Flasche auf mich zukommt.
    „Du findest es eklig, abnormal und hässlich, nicht wahr?“, fragt er direkt.
    Ich schüttele wild den Kopf und lenke den Blick hoch zu seinem Gesicht, damit er sieht, dass ich nicht lüge.
    „Nein. Oh nein. Ich bin neugierig und finde es faszinierend. Es ist, als wäre es ein Teil von dir. Wie machst du das nur?“
    Matthew lacht freudlos auf.
    „Ein Jahr tägliches Training, dann ging es. Zuerst bin ich ständig auf die Fresse geknallt, bis ich es endlich geschafft habe, wenigstens zu humpeln. Dann wurde es immer besser und nun – nun könnte ich sogar sprinten, wenn ich wollte.“
    Er stellt das Wasser auf den Tisch, schiebt ein Glas hinterher und plumpst in seinen Stuhl.
    „Diese Prothese ist der Wahnsinn, doch es bleibt eben immer ein Ersatz“, flüstert er und seine Augen sind ganz traurig, als sie das High-Tech-Element ansehen.
    Nachdem ich die Hälfte der Flasche geleert habe, geht es mir besser. Seit dem Mittag habe ich nichts getrunken, ich muss mehr aufpassen in dieser Hitze. Ich lehne mich zurück, betrachte Matthew, der inzwischen mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl hängt, und die Neugier treibt mir die nächste Frage auf die Lippen.
    „Magst du mir erzählen, wie es passiert ist?“
    „Klar. Es war ein Motorradunfall und ich unvorsichtig. Ich hatte nur Jeans an, ich Vollidiot, und nach dem Sturz brannte sich der Stoff so tief in die Haut, dass das Bein sich entzündete und nicht mehr zu retten war. Ich war also selbst schuld, hatte aber Glück im Unglück: Mir ist sonst kaum was passiert. Gehirnerschütterung, ein paar Abschürfungen, was ist da ein fehlendes Bein?“
    Seine Stimme klingt so verbittert, dass sich mir die nächste Frage förmlich aufdrängt.
    „Es ist nicht das
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