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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Autoren: Jakob Wassermann
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dünkte, jedesmal wenn er sich, erschöpft vom Gehen, zur Ruhe niedergelegt, sei ein Tag vergangen. Furcht zog ihn hin und bemeisterte seine Müdigkeit, sie spannte seine Gelenke und riß sein Haupt nach oben, indes die Augen unaufhörlich zur Tiefe starrten. Der Du gab ihm dasselbe Brot zu essen, das er im Kerker genossen, und ließ ihn Wasser aus einer Flasche trinken. Caspars Erschöpfung und seine Angst, wenn der Wind durch die Büsche sauste, oder wenn ein Tier schrie, oder wenn das Gras um seine Füße klirrte, suchte er durch das Versprechen schöner Pferdchen zu besiegen, und als Caspar endlich längere Zeit allein gehen konnte, sagte er, nun seien sie bald da. Er wies mit dem Arm in die Ferne und sagte: »Große Stadt.«
    Caspar sah nichts, taumelnd tappte er vorwärts; nach einer Weile hielt ihn der Du bei den Armen zum Zeichen, daß er stehenbleiben solle, gab ihm einen Brief und sagte, den Mund nahe an Caspars Ohr: »Laß dich weisen, wo der Brief hingehört.«
    Caspar machte noch ein paar Schritte, und als er sich dann umsah, war der Du verschwunden. Er spürte plötzlich Steine unter den Füßen, er tastete nach allen Seiten, um sich zu halten, er sah Steinmauern, die im Sonnenlicht feurig lohten, aber Entsetzen packte ihn erst, als er Menschen gewahrte, erst einen, dann zwei, dann viele. Grauenhaft nah kamen sie heran, umstanden ihn, schrien ihm zu, einer ergriff ihn und schleppte ihn vorwärts, alles ringsumher war Lärm und Getöse; er begehrte zu schlafen, sie verstanden ihn nicht; er sprach von seinem Vater, von den Rossen, sie lachten und verstanden ihn nicht; er jammerte über seine wunden Füße, sie verstanden es nicht; er schlief im Stall des Rittmeisters, dann kamen wieder andre Gestalten, um, kaum daß sie sich gezeigt, mit unbegreiflicher Hast wieder zu fliehen, die Luft war schwer und kaum zu atmen, die gewaltigen Dinge, als welche ihm die Häuser erschienen, drängten sich an ihn an, und auf der Wachtstube erschreckten ihn die wilden Mienen und Gebärden der Leute so, daß er zu Tränen seine Zuflucht nahm.
    Wiederum schlief er lange, und danach wurde er auf den Turm gebracht. Der Mann, der ihn die große Stiege hinaufführte, sprach mit starker Stimme und öffnete eine Tür, die einen besonderen Hall von sich gab. Kaum hatte er sich auf dem Strohsack niedergelassen, so begann die Turmuhr zu schlagen, worüber Casparin unermeßliches Erstaunen geriet. Er lauschte angestrengt, aber nach und nach hörte er nichts mehr, seine Aufmerksamkeit verlor sich und er fühlte nur das Brennen seiner Füße. In den Augen hatte er keine Schmerzen, da es dunkel war. Er setzte sich auf und wollte nach dem Krüglein langen, um seinen Durst zu stillen. Er sah kein Wasser und kein Brot, anstatt dessen sah er einen Boden, der ganz anders beschaffen war als dort, wo er früher gewesen. Nun wollte er nach seinem Pferdchen greifen und mit ihm spielen, es war aber keines da, und er sagte: »Ich möcht’ ein solcher Reiter werden wie mein Vater.«
    Das sollte heißen: Wo ist das Wasser hin und das Brot und das Pferdchen?
    Er bemerkte den Strohsack, auf dem er lag, betrachtete ihn mit Verwunderung und wußte nicht, was es sei; mit dem Finger darauf klopfend, vernahm er dasselbe Geräusch wie von dem Stroh, das sonst sein Lager gewesen. Dies erfüllte ihn mit Beruhigung, so daß er wieder einschlief und erst mitten in der Nacht vom oftmals wiederholten Ton der Glocke erwachte. Er lauschte lang, und als der Schall verklungen war, sah er den Ofen, der eine grüne Farbe hatte und einen Glanz von sich gab (denn Caspar vermochte selbst in tiefer Dunkelheit die Farben zu unterscheiden). Er blickte sehr angespannt hinüber und murmelte wieder: »Ich möcht’ ein solcher Reiter werden wie mein Vater.«
    Das sollte heißen: Was ist denn dieses und wo bin ich denn? Auch drückte er damit sein Verlangen nach dem glänzenden Ding aus.
    In der Frühe öffnete der Wärter die Fensterläden, das helle Tageslicht tat Caspars Augenwehe; er fing zu weinen an und sagte: »Hinweisen, wo der Brief hingehört,« und damit wollte er sagen: Warum tun mir die Augen weh? Tu es weg, was mich brennt, gib mir das Pferdchen zurück und plag mich nicht so. Denn er sprach im Geiste mit dem Du, von dem er glaubte, daß er Abhilfe schaffen könnte. Er hörte die Uhr wieder schlagen, das nahm ihm die Hälfte der Schmerzen, und indes er horchte, kam ein Mann und stellte allerhand Fragen, aber Caspar gab keine Antwort, weil seine Aufmerksamkeit auf
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