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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Autoren: Jakob Wassermann
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den verhallenden Klang gerichtet war. Der Mann faßte ihn am Kinn, hob seinen Kopf in die Höhe und redete mit starker Stimme. Jetzt hörte Caspar zu und sagte all seine gelernten Worte her, aber der Mann verstand ihn nicht. Er ließ seinen Kopf los, setzte sich neben Caspar und fragte immerfort; als nun die Uhr wieder tönte, sagte Caspar: »Ich möcht’ ein solcher Reiter werden wie mein Vater.«
    Das sollte bedeuten: Gib mir das Ding, das so schön klingt.
    Der Mann verstand ihn nicht und redete weiter, da fing Caspar an zu weinen und sagte: »Roß geben,« womit er den Mann bat, er möge ihn nicht so quälen.
    Er saß dann lange Zeit allein. Aus weiter Ferne klang ein Trompetenschall aus der Kaiserstallung, und als ein andrer Mann eintrat, sagte Caspar die Redensart mit dem Brief; das sollte heißen: Weißt du nicht, was das ist? Der Mann brachte den Wasserkrug und ließ Caspar trinken, danach ward es ihm leicht zumute und er sagte: »Möcht’ ein solcher Reiter werden wie mein Vater.« Das bedeutete: Jetzt darfst du nicht mehrfortgehen, Wasser. Bald erklang wieder die Trompete und Caspar lauschte freudig; er dachte, wenn sein Pferdchen käme, würde er ihm erzählen, was er gehört.
    An diesem Tag aber begann schon die Peinigung, die er von den vielen Menschen auszustehen hatte.
Eine hohe amtliche Person wird Zeuge eines Schattenspiels
    Natürlich hatte es wochenlang gedauert, bis Professor Daumer einen so vollständigen Einblick in die Vergangenheit des Jünglings gewonnen hatte. Dies alles ans Licht zu bringen, kündbar, greifbar, hatte Ähnlichkeit gehabt mit der Arbeit eines Brunnengräbers. Was anfangs ein Fiebertraum geschienen, besaß nun die Züge des Lebens.
    Daumer verfehlte nicht, der Behörde den Sachverhalt in einer gewissenhaften Niederschrift vorzulegen. Die Folge davon war, daß sich der Magistrat entschloß, die Bahn förmlicher Verhöre zu verlassen und in eine vertrautere Beziehung zu dem Unglücklichen zu treten. Die auffälligen Besonderheiten seines Wesens sollten noch einmal überprüft werden, hieß es in einer der gerichtlichen Noten, deshalb wurden Ärzte, Gelehrte, Polizeibeamte, scharfsinnige Juristen, kurz unzählige Personen, die an seinem Schicksal freien Anteil nahmen, zu ihm auf den Turm geschickt. Es war ein endloses Schnüffeln und Debattieren, Zweifeln und Staunen, doch die verschiedenen Erklärungen liefen alle auf eins hinaus, und diebloße Kraft des Augenscheins mußte den Daumerschen Bericht bestätigen.
    Wenige Tage später, gegen Anfang Juli, veröffentlichte der Bürgermeister einen Aufruf, der im ganzen Land Verwunderung und Beunruhigung erregte. Zunächst wurde darin das Erscheinen Caspar Hausers geschildert, und nachdem die eigne Erzählung des Jünglings mit tunlichster Ausführlichkeit wiedergegeben war, beschrieb der Verfasser diesen selbst. Er sprach von der alle Umgebung bezaubernden Sanftmut und Güte des Knaben, in der er anfangs immer nur mit Tränen und nun, im Gefühl der Erlösung, mit Innigkeit seines Unterdrückers gedenke; von seiner rührenden Ergebenheit an diejenigen, die häufig mit ihm umgingen, von seiner unbedingten Willfährigkeit zum Guten, die mit der Ahnung dessen verbunden sei, was böse ist, ferner von seiner außerordentlichen Lernbegierde.
    »Alle diese Umstände,« fuhr der beredsame Erlaß fort, »geben in demselben Maß, in dem sie die Erinnerungen des Jünglings bekräftigen, die Überzeugung, daß er mit herrlichen Anlagen des Geistes und des Herzens ausgestattet ist, und berechtigen zu dem Verdacht, daß sich an seine Kerkergefangenschaft ein schweres Verbrechen knüpft, wodurch er seiner Eltern, seiner Freiheit, seines Vermögens, vielleicht sogar der Vorzüge hoher Geburt, in jedem Fall aber der schönsten Freuden der Kindheit und höchsten Güter des Lebens verlustig geworden ist.«
    Eine kühne und folgenschwere Vermutung, die eher dem mitleidigen Gemüt und dem romantischen Geist als der behördlichen Vorsicht eines hohen Bürgermeisteramtes zur Ehre gereichte!
    »Zudem beweisen mancherlei Anzeichen,« hieß es weiter, »daß das Verbrechen zu einer Zeit verübt worden, wo der Jüngling der Sprache schon einmal mächtig gewesen und der Grund zu einer edeln Erziehung gelegt war, die gleich einem Stern in finsterer Nacht aus seinem Wesen hervorleuchtet. Es ergeht daher an die Justiz-, Polizei-, Zivil- und Militärbehörden und an jedermann, der ein menschliches Herz im Busen trägt, die dringende Aufforderung, alle, auch die
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