Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Eine Art Held (Smiley Bd 6)
Vom Netzwerk:
hinauf vor der Cholera und dem
Fieber in der Stadt flüchteten; wie noch vor ein paar Jahrzehnten jeder Chinese
sogar einen Paß brauchte, wenn er einen Fuß dorthin setzen wollte. Er schilderte
die Geschichte von High Haven und zuletzt dessen, von der chinesischsprachigen
Presse begründeten, Ruf als Hexenküche für britisch-imperialistische Anschläge
auf das Reich Maos. Über Nacht war die Küche geschlossen worden, die Köche
waren verschwunden.
    »Eine
weitere Versöhnungsgeste?« fragte er. »Ein Entgegenkommen? Im Zuge der
britischen Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Festland? Oder einfach nur ein
weiteres Indiz dafür, daß die Briten in Südostasien wie überall auf der Welt
von ihrer hohen Warte heruntersteigen müssen?«
    Er beging
den Fehler, eine weitverbreitete englische Sonntagszeitung zu wählen, die
gelegentlich seine Arbeiten brachte. Die Sperr-Anweisung, die alle Hinweise auf
diese Vorkommnisse untersagte, kam ihm zuvor. »Bedauern Ihre hübsche Havenstory
nicht unterzubringen«, telegrafierte der Redakteur und ließ sie prompt in der
Schublade verschwinden. Ein paar Tage später fand der Cowboy beim
Nachhausekommen sein Zimmer gründlich durchsucht. Auch litt sein Telefon ein
paar Wochen lang an einer Art Kehlkopfentzündung, so daß er es nie benutzte,
ohne eine obszöne Anspielung auf Big Moo und sein Gefolge zu äußern.
    Luke kam
voll guter Ideen nach Hause, badete, trank große Mengen schwarzen Kaffee und
machte sich ah die Arbeit. Er rief bei Fluggesellschaften an, bei
Regierungsleuten und bei zahlreichen bleichen, geschniegelten Bekannten im
amerikanischen Konsulat, die ihn durch Ausflüchte und delphische Antworten
erbitterten. Er belästigte Umzugsfirmen, die vorwiegend für die Regierung
arbeiteten. Noch in der gleichen Nacht um zehn Uhr hatte er, wie er wörtlich
zum Zwerg sagte, »hieb- und stichfeste Beweise« dafür, daß Thesinger mit Frau
und sämtlichem Personal von High in den frühen Morgenstunden des Dienstag
Hongkong mit einer Chartermaschine in Richtung London verlassen hatte.
Thesingers Boxerhund, so erfuhr er durch einen glücklichen Zufall, sollte im
Lauf der Woche per Luftfracht nachkommen. Mit seinen Notizen setzte Luke sich
an die Schreibmaschine und blieb, wie er genau vorhersah, alsbald stecken. Er
fing hastig und fließend an zu schreiben: »Heute hängt eine neue Skandalwolke
über der kampfgewohnten und nichtgewählten Regierung von Britanniens einzig
verbliebener Kolonie in Asien. Der Aufdeckung von Korruption im Polizei- und
Zivildienst folgt die Nachricht auf dem Fuße, daß das geheimnisvollste
Etablissement der Insel, das Haus High Haven, die Basis für Englands Mantel-
und Degenkomplotte gegen Rotchina, über Nacht geschlossen wurde.« Hier hielt er
mit einem gotteslästerlichen Fluch über sein Unvermögen inne und preßte das
Gesicht in die Handflächen. Alpträume: die konnte er ertragen. Erwachen nach
soviel Krieg, schweißbedeckt ob unaussprechlicher Visionen, in den Nüstern den
Gestank von Napalm auf Menschenfleisch: in gewisser Weise war es ihm ein Trost,
daß die Dämme seines Gefühls nach so langem Verdrängen gebrochen waren. Es
hatte Zeiten gegeben, damals, als er das alles erlebte, in denen er sich nach
einer Atempause sehnte, die ihm erlauben würde, Ekel zu empfinden. Wenn
Alpträume notwendig waren, damit er wieder in die Reihen normaler Menschen
zurückfände, dann konnte er sie dankbar willkommen heißen. Doch nicht im
schlimmsten Alptraum war die Möglichkeit aufgetaucht, daß er nach jahrelangem
Kriegsberichten nicht mehr imstande sein könnte, über den Frieden zu
berichten. Sechs Nachtstunden lang kämpfte Luke mit dieser schrecklichen
Starre. Manchmal dachte er an Old Craw, wie er dort stand, regentriefend, und
seine Grabrede gehalten hatte: vielleicht war das die Story?
Aber wer hängt schon eine Story an der ausgefallenen Gemütsverfassung eines
Zunftkollegen auf?
    Der
Version, die der Zwerg zusammenbraute, war auch nicht viel mehr Erfolg
beschieden, was den Verfasser sehr reizbar machte. Auf den ersten Blick hatte
die Story alles, was man sich wünschen konnte. Sie mokierte sich über die
Briten, enthielt das Wort SPION in Großbuchstaben und verzichtete ausnahmsweise
auf das Bild von Onkel Sam als Henker Südostasiens. Doch alles, was er nach
fünftägigem Warten zur Antwort erhielt, war die bündige Anweisung, er möge bei
seinem Leisten bleiben und nicht in anderer Leute Stiefeln, auftreten.
    Blieb nur
noch Old Craw.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher