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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition)
Autoren: Heidi Schumacher
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Antonia ihn grummeln: »Hab ich es nicht gesagt? In einem
Hotel wäre das nicht passiert. Das würde zwar von der Mafia besucht, aber die
lassen wenigstens die Gäste in Ruhe Urlaub machen …«
    Gegen acht Uhr rief Jana an, um die beiden zu einer Ombra, dem
abendlichen Glas Weißwein, in der Bar gegenüber einzuladen.
    »Ein schöner Brauch.« Florians Stimmung hellte sich schlagartig auf.
Bei ihrem letzten Venedig-Besuch waren sie auch immer auf ein kleines Glas Wein
gegangen, bevor sie in einer Trattoria zu Abend gegessen hatten.
    Die Weinbar »Cantinone Già Schiavi« lag in unmittelbarer Nähe des
Palazzos. In dem engen Schankraum herrschte dichtes Gedränge. Am frühen Abend
war es hier immer besonders voll. Mit einem Glas Wein in der Hand plauderten
die Gäste lebhaft und laut durcheinander oder ließen sich von der Padrona mit
Cicchetti, den venezianischen Häppchen, versorgen. Das »Già Schiavi« war, wie
Jana erläuterte, ein Familienbetrieb. Die Eltern und drei Söhne bedienten im
Akkord die Leute aus der Nachbarschaft sowie etliche Touristen, denen die Bar
von unzähligen Venedig-Führern als »Geheimtipp« angepriesen wurde.
    Die niedrige Balkendecke und die vielen dunkel gebeizten Regale mit
Weinflaschen aus ganz Italien machten den Ort zu einem anziehenden Treffpunkt.
Bei wärmeren Temperaturen, wie an diesem Abend, zog es viele Besucher nach
draußen, wo man Gläser und Plastikteller auf die breite Kanalmauer stellte oder
sich auf der Treppe der Brücke niederließ, die neben dem Eingang der Bar den
Rio di San Trova überspannte. Antonia konnte sich angesichts der Leckereien in
der Vitrine kaum entscheiden, wurde jedoch von einem der jüngeren Wirte in
schiefem Englisch unsanft zur Bestellung gedrängt: »Next, next, please!«
    Rasch deutete sie mit dem Zeigefinger auf drei Häppchen: eins mit
Stockfischpüree, eins mit Mortadella und eingelegten Zwiebeln und ein drittes
mit Gorgonzolacreme und hauchdünn geschnittenem Lauch.
    Jana wartete in der Nähe der Theke auf sie, in der Hand ein Glas
Spritz, das orangefarben leuchtete. Antonia lächelte einem anderen der Söhne,
einem jungen Mann mit schwarzem Zopf, freundlich zu, als sie ihr Glas mit
Aperol in Empfang nahm. Er erwiderte ihr Lächeln jedoch nicht, sondern nickte
nur ernst in ihre Richtung.
    »Komische Leute, die Venezianer«, sagte Antonia, die Italiener meist
als überschwänglich und zugewandt erlebte. »So gar nicht italienisch.«
    »Die Venezianer sind tatsächlich etwas melancholischer als die Leute
vom Festland«, lächelte Jana. »Vielleicht weil ihre Stadt von so vielen Fremden
heimgesucht wird, dass sie davon stoisch geworden sind. Oder ungeduldig.
Übrigens verhalten sie sich auch italienischen Touristen oder Einheimischen
gegenüber so, wenn sie sich nicht schnell genug entscheiden, was sie essen oder
trinken wollen. Nimm es also nicht persönlich.«
    »Wie dem auch sei: Die Häppchen sind phantastisch«, seufzte Antonia.
»Ich freue mich schon jetzt auf die von morgen!«
    Die drei leerten rasch ihre Gläser und zogen weiter ins Uni-Viertel zum
Campo Santa Margherita. Auch hier standen viele Gäste in großen Trauben draußen
vor den Bars, tranken, redeten und lachten. Der Platz war der Treffpunkt der
Studenten, und er vibrierte von Leben. Einige der jungen Leute trugen große
Lorbeerkränze auf dem Kopf oder um den Hals, und Jana erklärte Antonia und
Florian, dass sie ihr Examen feierten.
    An der Auslage einer Gelateria bestaunte Antonia die farbenfrohen
Gebirge aus Schoko-, Pistazien- und Frutti-di-Bosco-Eis. Als Florian an die
Vitrine trat, um für alle Eis zu bestellen, nutzte Antonia die Gelegenheit und
fragte die Freundin nach dem Fremden, der sie am Vortag gegrüßt hatte. Jana
schaute verlegen weg. Dann sagte sie mit plötzlicher Schroffheit: »Das war
Onkel Guido.«
    Antonia war überrascht. »Und was ist daran schlimm, deinen Onkel zu
grüßen? Warum konntest du darüber nicht sprechen?«
    Jana blickte verlegen auf die Spitzen ihrer teuren Designersandalen.
»Es ist mir peinlich. Guido ist bei uns zu Hause Persona non grata. Großvater
und er hatten vor Jahren einen furchtbaren Krach, und seitdem darf er das Haus
nicht mehr betreten.«
    Nach einer kleinen Pause warf sie fast trotzig den Kopf in Richtung
Abendhimmel. »Guido ist aber total nett, und ich bin die Einzige aus der
Familie, die ihn noch manchmal trifft. Ich fühle mich natürlich nicht gut
dabei, weil ich meinen Großvater hintergehe.«
    »Weiß deine Mutter
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