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Camorrista

Titel: Camorrista
Autoren: Giampaolo Simi
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entschlossen und kurz angebunden.
    »Sie sehen müde aus«, meint er. Sehr aufmerksam liest er die Schildchen an verschiedenen Schlüsselbunden. Dann greift er zum Telefon und gibt Anweisung, man solle ihm Mike schicken. Er steckt eine Karte in einen Umschlag und erklärt mir, dass dies die Einladung für den Cocktailempfang heute Nachmittag ist.
    »Bleiben Sie ruhig ein paar Stunden, wir haben ein kleines Gästehaus, wo Sie sich ausruhen können. Später gibt es für die Presse die Vorpremiere einer Modenschau, vielleicht interessiert Sie das.«
    »Ich danke Ihnen, aber ich weiß nicht.«
    »Später werde ich keine Zeit mehr für Sie haben, also hören Sie mir jetzt gut zu.«
    Er wirft einen Bund mit messinggelben Schlüsseln auf meine Seite des Schreibtischs.
    »Der Ort heißt Blackdog, Peripherie von Aberdeen, an der A90, okay? Gleich nach einem Schießplatz der Armee kommt
eine Straße, die Richtung Küste geht. Sie führte früher zu einer alten Deponie, heute haben sie alles eingezäunt. Da stehen fünf oder sechs Häuser, sonst nichts. Das sind die Schlüssel für Nr. 21. Da habe ich gewohnt, als ich gerade hier angekommen war. In ein paar Monaten werden alle Häuser abgerissen, weil da eine neue Straße durchgehen soll. Dort werde ich mich mit Daniele verabreden, wenn er mich wieder anruft. Ich sage ihm, dass er sich eine Zeit lang da verstecken kann.«
    »Könnte er merken, dass es eine Falle ist?«
    »Er wird es nicht merken.«
    Er schließt die Augen, als wäre Lächeln gleichbedeutend damit, eine Wunde wieder aufzureißen.
    »Er wird sich am Abend melden. Sobald ich das Treffen mit ihm abgemacht habe, schicke ich Mike zu Ihnen, um Sie zu informieren. Von da an ist es Ihre Sache, ich will dann nichts mehr davon wissen.«
    »Ich danke Ihnen.«
    »Danken Sie mir nicht. Meine Hilfe hat einen Preis.«
    »Was wollen Sie als Gegenleistung?«
    »Absolutes Stillschweigen.«
    »Sie haben mein Wort.«
    »Gut, und dass der Herr ihn behüten möge. Wenn er kann«, seufzt er und hebt den Blick, während ich seine kalten Finger drücke.
     
    Als ich im Festsaal ankomme, hat der Cocktailempfang schon eine Weile begonnen. Coleen McDougall hat ihr Kostüm gegen etwas Effektvolleres getauscht, ein pflaumenfarbenes Kleid, das vielleicht ein wenig zu effektvoll für eine Frau mit ihrer Figur ist.
    Ich schaue mich um und sehe nur ein paar Miniröcke, die nicht mal wahnsinnig aufregend sind. Sehr viel häufiger sind Nadelstreifen und Krokodillederschuhe bei den Männern. Die Grüppchen lösen sich auf und bilden sich wieder, wie bei einer Quadrille, einem Ritual aus dem achtzehnten Jahrhundert mit einem festen rhythmischen Ablauf.

    Ich erkenne David Stevens wieder, der ein Tweed-Jackett trägt (auf dem Foto auf der Website sah er jünger aus). Er geht Arm in Arm mit einer Vierzigjährigen, die mit ihren übertriebenen Extensions und in ihrem New-Romantic-Rock wie ein altmodischer Lampenschirm aussieht.
    Ich komme mit einem sympathischen Typ ins Gespräch, kahl, braungebrannt und zapplig, der sich als Aldo vorstellt, Chef der Pizzeria Mamma Maria in Oslo. Er erzählt mir, dass ihm Italien fehlt, er ist seit einem Jahr nicht mehr da gewesen. Sein Bruder, der in Bari lebt, hat inzwischen eine Tochter, die er nur über Webcam gesehen hat, immerhin etwas, ja, aber doch nicht das Gleiche wie in Wirklichkeit. Er versteht, dass ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühle, und führt mich herum. Mit dem Interesse von jemandem, der die Zeit totschlagen will, höre ich mir an, was er zu erzählen hat. Aber er ist zu selbstgefällig, um das zu bemerken oder sich darüber zu ärgern. Der hagere Alte mit der Krawatte, die ihm bis zum Reißverschluss der Hose hängt, ist Präsident einer Ölgesellschaft, die sechzehn Bohrinseln in der Nordsee besitzt. Der sehr große, sommersprossige Typ ist ein Neuseeländer, der Golfplätze entwirft. Er gehört weltweit zu den Besten, und ein Projekt von ihm kostet nicht weniger als zweihunderttausend Dollar. Ich halte eine Viertelstunde durch, dann mache ich mich freundlich von ihm los. Bei den Fenstern stehen lebensgroße Pappfiguren der Models von Via Roma . Siebziger-Jahre-Jacken mit großen Taschen und Ellbogenflicken, gerade geschnittene Hosen mit Fischgrätmuster. Harte Jungs mit extra zerzausten Haaren schauen mich an, als wären sie die Herren der Welt und fänden das Ganze todlangweilig.
    Die Models sind wenig mehr als schmollende Mädchen. Sie haben keine Hüften und knochige Knie, doch mir
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