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Cagot

Cagot

Titel: Cagot
Autoren: Tom Knox
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auch das Thema »Essen im Hospiz« an. Immer nur Tacos, David, nichts als Tacos. David brachte zur Sprache, dass seine Woche Urlaub beinahe um sei und er in ein, zwei Tagen nach London zurückfliegen müsse.
    Der alte Mann nickte. Draußen, am Himmel über der Wüste, kreiste ein Bussard; der Schatten des Vogels flackerte flüchtig durch das Zimmer.
    »Es tut mir leid, David … dass ich nicht für dich da war, als deine Mutter … und dein Vater … du weißt schon … als es passiert ist.«
    »Wie bitte?«
    »Du weißt schon. Der … Unfall … was passiert ist… das alles tut mir wahnsinnig leid. Ich war richtig dumm.«
    »Unsinn, jetzt hör aber mal, Großvater. Fang bloß nicht wieder damit an.« David schüttelte den Kopf.
    »Nein, hör zu. David … bitte.« Der alte Mann zuckte zusammen. »Ich muss dir etwas sagen.«
    David nickte und hörte seinem Großvater aufmerksam zu.
    »Ich muss das jetzt einfach loswerden. Ich hätte … ich hätte mehr tun können, dir mehr helfen können. Aber du wolltest unbedingt in England bleiben, Freunde deiner Mutter haben dich zu sich genommen, und das schien damals das Beste … du weißt ja nicht, wie schwer es war. Nach Amerika zu kommen. Nach dem Krieg. Und … und als dann deine Großmutter gestorben ist…«
    Er verstummte.
    »Großvater?«
    Der alte Mann blickte in die Nachmittagssonne, die inzwischen schräg ins Zimmer fiel. »Ich würde dich gern etwas fragen, David.«
    »Ja. Klar. Nur zu.«
    »Hast du dich je gefragt, woher du kommst? Wer du wirklich bist?«
    David war es gewöhnt, dass ihm sein Großvater Fragen stellte. Das gehörte zu ihrer Beziehung, wie sie miteinander umgingen: der Ältere, der den Enkel nach »jüngeren« Dingen fragte. Aber das war eine völlig andere Art von Frage - unerwartet, jedoch auch sehr aktuell. Das war nicht irgendeine alte Frage. Das war die Frage schlechthin.
    Wer war er wirklich? Woher kam er wirklich?
    David hatte das Gefühl von Entwurzelung, das ihn ständig begleitete, immer auf seine chaotische Kindheit und seine ungewöhnliche Herkunft zurückgeführt. Großvater war eigentlich Spanier, war aber 1946 mit seiner Frau nach San Diego ausgewandert. Sie war bei der Geburt von Davids Vater gestorben. Später hatte sein Vater seine Mutter kennengelernt, eine englische Krankenschwester, die auf der Edwards Air Force Base in Kalifornien gearbeitet hatte.
    Daher hatte David in seinen ersten Lebensjahren vielleicht noch ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl gehabt. Er hatte sich als Amerikaner anglo-hispanischer Abstammung, als Kalifornier betrachtet, auch wenn er mit seinem spanischen Familiennamen und seinem dunkelhäutigen Äußeren nicht gerade den Typ des gängigen Durchschnittsamerikaners verkörperte. Dann waren sie im Zuge der zahlreichen Versetzungen seines Vaters, der bei der US Air Force war, nach England gezogen und von dort nach Deutschland und Japan und schließlich wieder zurück nach England.
    Am Ende dieser Welttournee - David war inzwischen zwölf - hatte er sich nicht mehr als Amerikaner gefühlt, und auch nicht als Engländer, Spanier, Kalifornier oder sonst etwas. Und dann waren seine Mutter und sein Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, und das Gefühl, isoliert zu sein, ein Fremdkörper, allein und anonym, war noch schlimmer geworden. Mutterseelenallein.
    Großvater wiederholte seine Frage. »Und … David? Was ist? Denkst du manchmal darüber nach? Woher du kommst?«
    »Nein, eigentlich nicht«, antwortete David achselzuckend. Das stimmte zwar nicht, aber ihm war jetzt nicht danach, sich damit auseinanderzusetzen, nicht jetzt.
    Aber wenn nicht jetzt, wann dann?
    »In Ordnung«, murmelte der alte Mann. »In Ordnung, David. Und dein neuer Job? Dein Job? Gefällt er dir? Was machst du da eigentlich, ich habe ganz vergessen …«
    Verließen die Sinne Großvater schon wieder? Stirnrunzelnd sagte David:
    »Ich bin Anwalt. Medienanwalt. Es geht so.«
    »Es geht so? Mehr nicht?«
    »Na ja … eigentlich finde ich meinen Job schrecklich.« David seufzte angesichts seiner Freimütigkeit. »Ich dachte … ich hatte gehofft, es wäre wenigstens ein bisschen was Aufregendes, Glamouröses dabei. Du weißt schon … Popstars und wilde Partys. Aber ich sitze nur die ganze Zeit in einem tristen Büro und telefoniere mit anderen Anwälten. Stinklangweilig. Und mein Chef ist ein richtiger Idiot.«
    »Ah … ah … ach …« Ein mühsames Altmännerhusten. Dann ließ sich sein Großvater zurücksinken und blickte an
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