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Cagot

Cagot

Titel: Cagot
Autoren: Tom Knox
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Scotland Yard.
    Simon begrüßte ihn mit einem gut gelaunten Hi. Er freute sich immer, von Bob Sanderson zu hören, denn der Polizist lieferte dem Journalisten regelmäßig gute Storys: Klatsch über spektakuläre Raubüberfälle, Tratsch über grausige Morde. Als Gegenleistung für diese Informationen sorgte Simon dafür, dass DCI Sanderson in den entsprechenden Zeitungsbeiträgen in einem schmeichelhaften Licht erschien: ein cleverer und erfolgreicher Ermittlungsbeamter, dessen Stern sich im Aufsteigen befand. Es war eine für beide Seiten praktische Regelung.
    »Schön, mal wieder von Ihnen zu hören, DCI. Ich bin gerade etwas knapp bei Kasse.«
    »Das sind Sie doch immer, Quinn.«
    »Das Schicksal aller Freiberufler. Was haben Sie für mich?«
    »Möglicherweise was richtig Interessantes. Ziemlich eigenartiger Fall in Primrose Hill.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, tatsächlich.«
    »Und … worum geht es? Wo?« Der Inspektor antwortete erst nach kurzem Zögern. »Großes altes Haus. Ermordete alte Dame.«
    »Aha.«
    »Sonderlich begeistert hört sich das nicht an.«
    »Tja.« Innerlich mit den Achseln zuckend, sah Simon einem Bus hinterher, der an der U-Bahn-Station links abbog und in Richtung Belsize Park fuhr. »In Primrose Hill? Ich nehme mal an … ein Einbruch, die Diebe hatten es auf den Schmuck abgesehen … nicht besonders aufregend.«
    »Genau da täuschen Sie sich.« Der Polizist lachte leise, aber mit einem ernsthaften Unterton. »Das ist nicht irgendeine langweilige Routinesache, Quinn.«
    »Na schön. Und wieso ist der Fall eigenartig?«
    »Wegen der Methode. Sieht so aus, als wäre das Opfer … geknotet worden. Eine Knotung.«
    »Eine Knotung?«
    »Ganz so sieht es jedenfalls aus. Ich habe mir sagen lassen, das ist die korrekte Bezeichnung dafür.« Der DCI zögerte. Dann fügte er hinzu: »Ja, eine Knotung! Vielleicht sollten Sie kurz vorbeikommen und es sich selbst ansehen.«

2
     
    Hinter dem Fenster des Hospizzimmers breitete sich die gepeinigte Schönheit der Wüste von Arizona aus: mit ihrem bezwungenen Sand, dem gebeutelten Kreosot und den von Blasen überzogenen Basaltflächen. Die Saguaro-Kakteen reckten ihre grünen Arme flehend der gnadenlosen Sonne entgegen.
    Wenn man denn sterben musste, dachte David Martinez, war das der richtige Ort dafür, am äußersten Rand von Phoenix gelegen, im letzten Speckgürtel der Stadt, bevor die gewaltige Sonora-Wüste begann.
    Sein Großvater murmelte in seinem Bett leise vor sich hin. Der Morphiumtropf war weit aufgedreht. Der alte Mann schien ziemlich weggetreten - aber er hatte ohnehin kaum mehr lichte Momente.
    Der Enkel beugte sich über seinen Großvater und tupfte mit einem Papiertaschentuch den Schweiß von seinem Gesicht. Dabei fragte er sich wieder einmal, warum er eigentlich den weiten Weg von London hierher gemacht hatte und dafür kostbare Urlaubstage opferte. Die Antwort war die gleiche wie immer: Er liebte seinen Großvater. Er konnte sich noch an die besseren Zeiten erinnern. Er konnte sich an seinen Großvater als einen dunkelhaarigen, untersetzten, gutgelaunten Mann erinnern, der ihn in der Sonne auf seinen Schultern trug. In San Diego, am Meer, als sie noch eine Familie gewesen waren. Eine kleine Familie zwar, aber dennoch eine Familie.
    Und das war vielleicht ein weiterer Grund, weshalb David den weiten Weg hierher auf sich genommen hatte. Seine Eltern waren vor fünfzehn Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Fünfzehn Jahre lang hatte es nur noch David in London und seinen Großvater gegeben, der im fernen Phoenix seinen Lebensabend verbrachte. Und jetzt würde es bald nur noch David geben.
    Diese ernüchternde Tatsache erforderte eine angemessene Kenntnisnahme - und einen angemessenen Abschied.
    Das Gesicht seines Großvaters zuckte in seinem Morphiumdämmer. Eine Stunde lang saß David da und las ein Buch. Dann kam sein Großvater zu sich, hustete und starrte ins Leere.
    Mit verständnislosem Blick schaute der sterbende Mann auf das Fenster, auf das blaue Rechteck aus Wüstenhimmel - als sähe er es zum ersten Mal. Dann heftete sich sein Blick auf seinen Besucher. Wie schon so oft in der vergangenen Woche fragte sich David bedrückt, ob sein Großvater ihn erneut erstaunt ansehen und fragen würde: Wer sind Sie?
    »David?«
    Er zog seinen Stuhl näher ans Bett. »Großvater…«
    Was dann kam, war kein großes Gespräch, aber zumindest ein Gespräch. Sie sprachen darüber, wie es seinem Großvater ging; kurz schnitten sie
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