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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger
Autoren: Viktor Pelewin
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gefragt, wie sich die schweren, gefüllten Patronengurte auf den Leibern der Matrosen hielten. Auf dem Treppenabsatz zur zweiten Etage, wo eine einsame Glühlampe brannte, entdeckte ich auf Sherbunows Rücken mehrere Häkchen, mit denen die MG-Streifen nach dem Büstenhalterprinzip aneinanderhingen. Ich malte mir aus, wie Sherbunow und Barbolin, zwei Fräuleinchen im Schwimmbad gleich, einander bei ihrem schwierigen Ankleidemanöver halfen, wenn das nächste Morden anstand. Ein weiterer Beweis für die weibliche Natur aller Revolutionen, wie mir schien. Plötzlich konnte ich ein paar von Alexander Blocks jüngsten Launen nachvollziehen. Dabei entrang sich meiner Kehle wohl ein emphatisches Stöhnen, denn Barbolin wandte sich um.
    »Und du Esel wolltest erst nicht«, sagte er, sein Goldzahn blitzte.
    Wir traten hinaus auf die Straße. Barbolin sagte etwas zu dem auf der Vorderbank des Wagens sitzenden Soldaten, öffnete den Schlag, und wir zwängten uns hinein. Das Auto fuhr augenblicklich an. Durch das in den Ecken abgerundete vordere Kabinenfenster sah man den verschneiten Rücken und die spitze Filzmütze des Fahrers; man hätte meinen können, daß ein Ibsenscher Troll unseren Trupp chauffierte. Die Konstruktion des Wagens war äußerst unkomfortabel und wohl auch demütigend für den, der fuhr und Wind und Wetter schutzlos ausgesetzt war – vielleicht war dies absichtlich so gemacht, damit die Fahrgäste sich nicht nur am Blick durch das Fenster in die schöne Natur, sondern auch am Klassenunterschied weiden konnten.
    Ich sah zum Seitenfenster hinaus. Die Straße war leer und der auf das Pflaster niedergehende Schnee ungewöhnlich schön. Nur hin und wieder beschienen Laternen die weiße Pracht; eine von ihnen warf Licht auf ein schwungvoll gemaltes Graffito an einer Hauswand: LENINE EST MERDE.
    Als der Wagen bremste, war ich schon wieder ein wenig nüchterner. Wir krochen hinaus auf eine Straße, die ich nicht kannte; vor uns ein unscheinbarer Eingang, in dessen Nähe zwei, drei Autos und ein paar Droschken parkten; etwas weiter entfernt sah ich einen furchterregenden Panzerwagen mit Schneehäubchen auf dem Geschützturm stehen; ehe ich ihn näher in Augenschein nehmen konnte, waren meine beiden Matrosen schon im Hausflur verschwunden. Wir durchquerten einen unaussprechlich deprimierenden Hof und standen alsbald vor einer Tür, über der ein kleines gußeisernes Schutzdach mit Schnörkeln und feisten Amoretten prangte. Daran hing ein kleines Schild:
     
    SPIELDOSE
Literarisches Cabaret
     
    Mehrere mit rosaroten Vorhängen verhüllte Fenster gleich neben der Tür waren erleuchtet; der schwermütige Wohlklang eines fremdartigen Instruments drang zu uns heraus.
    Sherbunow riß die Tür auf. Dahinter lag ein kurzer Gang, der voller schwerer Pelze und Mäntel hing; an seinem Ende gab es eine dicke Samtportiere. Ein Mann mit Verbrechergesicht im roten Stehkragenhemd erhob sich von seinem Schemel und eilte auf uns zu.
    »Genossen Matrosen«, begann er, »wir haben …«
    Mit einer artistischen Bewegung ließ Barbolin sein Gewehr von der Schulter schwingen und stieß dem Mann den Kolben in den Unterleib. Der Arme flog gegen die Wand und rutschte von da auf den Fußboden; Abscheu und Überdruß malten sich auf seinem bösen Gesicht. Sherbunow zog den Vorhang beiseite, und wir traten in den schummrigen Saal.
    Sofort, noch im ersten Umsehen, spürte ich einen überraschenden Zustrom von Energie. Die Lokalität machte den Eindruck eines durchschnittlichen Mittelklasserestaurants, das einen gewissen Schick für sich in Anspruch nahm. An den kleinen, runden Tischen saß zwischen dichten Rauchschwaden ein recht buntes Publikum. Irgendwer schien Opium zu rauchen.
    Auf uns achtete niemand, und wir nahmen an einem leeren Tischchen unweit des Eingangs Platz.
    Vorn im Saal war eine hellerleuchtete Bühne, dort saß auf einem mit schwarzem Samt bezogenen Schemel, die Beine übereinandergeschlagen, ein kahlköpfiger, befrackter Herr. An einem Fuß fehlten Strumpf und Schuh. Der Geigenbogen in der rechten Hand des Künstlers fuhr über die stumpfe Seite einer langen Blattsäge. Einen der Griffe preßte er mit dem Fuß gegen den Boden, während er den anderen in der linken Faust gepackt hielt und die Säge damit bog und zum Schwingen brachte. Wollte er das Vibrato seines blitzenden Sägeblatts dämpfen, drückte er kurz mit dem bloßen Fuß dagegen; der schwarze Lackschuh, aus dem ein blendend weißer Socken hervorschaute, stand in
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