Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
»Lassen Sie mal.«
    Noch am oberen Ende des Boulevards kamen wir zum Stehen. Vor uns staute sich der Verkehr – Alarmsirenen waren zu hören, rote und orangefarbene Signalleuchten blinkten. Der Mann neben mir schwieg; ich fürchtete, daß er meine Worte in den falschen Hals bekommen hatte, und beschloß, die Scharte auszuwetzen.
    »Wissen Sie, wenn man aus der Geschichte überhaupt eine Lehre ziehen kann, dann die, daß am Ende immer alle, die Rußland bekehren wollten, selber bekehrt worden sind. Und eben nicht zum Allerbesten, möchte ich behaupten.«
    »Richtig. Und damit sich das nicht wiederholt, will diesmal gut überlegt sein, wie wir vorgehen müssen.«
    »Ich für meine Person muß da nicht lange überlegen. Ich weiß genau, wie vorzugehen ist.«
    »Ach so? Wie denn?«
    »Ganz einfach. Sowie einem Rußland ins Bewußtsein tritt, als Bild und als Begriff, muß man es in seiner eigenen Natur aufgehen lassen. In dem Moment, da Rußland als Bild und als Begriff über keine eigene Natur mehr verfügt, darf man es als vollständig bekehrt betrachten.«
    Der Mann sah mir forschend ins Gesicht.
    »Alles klar«, sagte er. »Das täte den amerikanischen Zionisten so passen. Dafür haben sie ja eurer ganzen Generation die Hirne verkleistert.«
    Das Auto fuhr wieder an und bog in die Nikitskaja ein.
    »Mir ist nicht ganz klar, was Sie meinen«, sagte ich, »aber man müßte dann eben auch diese amerikanischen Zionisten bekehren.«
    »Das möchte ich sehen! Wie denn?«
    »Auf dieselbe Art. Ganz Amerika wird so bekehrt. Man muß überhaupt nicht erst klein-klein anfangen. Wenn bekehrt wird, dann am besten gleich die ganze Welt.«
    »Warum tun Sie's dann nicht?«
    »Ich hab es mir für heute vorgenommen«, verkündete ich.
    Der Bart des Mannes wippte verächtlich.
    »Es ist natürlich müßig zu glauben, man könnte mit euch ein vernünftiges Wort wechseln, aber immerhin solltest du wissen, daß ich diesen Blödsinn nicht zum erstenmal höre. So zu tun, als glaubte man nicht an die Realität – das ist die billigste Art und Weise, sich dieser Realität zu entziehen. Die armseligste, wenn du's genau wissen willst. Diese Welt kann einem noch so absurd vorkommen, grausam und sinnlos bis dorthinaus, aber sie ist da, ob du willst oder nicht. Sie existiert mit all ihren Problemen.«
    Ich sagte nichts.
    »Und deshalb zeugt alles Palavern darüber, daß die Welt eigentlich nicht existiert, nicht von edlem Geist, sondern eher vom Gegenteil. Wer an die Schöpfung nicht glaubt, beleidigt den Schöpfer.«
    »Was meinen Sie mit edlem Geist?« fragte ich. »Und was den Schöpfer des Universums angeht – mit dem bin ich flüchtig bekannt.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Jaja. Er heißt Grigori Kotowski und wohnt in Paris, und wenn ich so aus Ihrem schönen Wagenfenster gucke, muß ich annehmen, daß er immer noch kokainsüchtig ist.«
    »Ist das alles, was Sie von ihm wissen?«
    »Na ja … Er dürfte ein großes Pflaster am Kopf haben.«
    »Aha. Darf man fragen, aus welcher psychiatrischen Anstalt Sie kommen?«
    Ich dachte nach.
    »Ich glaube, aus Nummer 17. Doch, da hing ein blaues Schild an der Tür mit der Zahl 17 drauf. ›Objekt der vorbildlichen Sauberkeit und Hygiene‹ stand darunter.«
    Der Wagen bremste.
    Ich schaute nach draußen. Wir standen vor dem Konservatorium. Die »Spieldose« konnte nicht weit sein.
    »Wissen Sie was«, sagte ich, »wir fragen am besten jemanden.«
    »Ich fahre Sie nicht weiter«, sagte der Mann. »Steigen Sie aus, und scheren Sie sich zum Teufel.«
    Ich zuckte die Schultern, öffnete die Tür und stieg aus. Das tropfenförmige Automobil rollte in Richtung Kreml davon. Daß mein Versuch, offen und ehrlich zu sein, auf so wenig Gegenliebe gestoßen war, kränkte mich. Im übrigen hatte ich, als wir an der Ecke des Konservatoriums vorfuhren, den bärtigen Herrn mitsamt seinen Teufeln längst vollständig bekehrt.
    Ich versuchte mich zu orientieren. Eine der Straßen kam mir entschieden bekannt vor. Ich lief vielleicht fünfzig Meter hinein, bis mir eine Seitenstraße nach rechts auffiel – und gleich darauf erblickte ich die Einfahrt, vor der Grigori von Ernens Wagen in jener denkwürdigen Winternacht geparkt hatte. Sie sah exakt so aus wie damals, nur der Anstrich der Fassade schien sich geändert zu haben. Und vor der Einfahrt standen diesmal etliche Wagen verschiedenster Formen und Farben.
    Im Nu hatte ich den unglaublich deprimierenden Hinterhof durchquert und stand vor der gewissen Tür –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher