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Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas

Titel: Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
Autoren: Donna Leon
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Tulpen, die in Reih und Glied den Weg am Rand des Grundstücks säumten. Und dann, eines Samstags, schleppte er auf Paolas Geheiß die großen Terrakottakübel vom kühlen, dunklen Dachboden, in dem sie überwinterten, zurück auf die Terrasse, wo sie bis November bleiben würden. Von dort oben sah er, daß die Blumenkästen auf dem Balkon gegenüber sowie ein Stockwerk tiefer mit den roten Geranien bepflanzt waren, die er so häßlich fand.
    Dann kam Palmsonntag, was er erst bemerkte, als Leute mit Olivenzweigen in der Hand durch die Stadt spazierten. Die Woche darauf war Ostern, und in den Schaufenstern von Biancat lockte ein Meer von Blumen in so extravaganten Arrangements, daß Brunetti jeden Abend auf dem Heimweg wie verzaubert davor haltmachte.
    Am Ostersonntag hatten Paolas Eltern sie zum Mittagessen eingeladen; ihre Tante Ugolina, die dieses Jahr ebenfalls anwesend war, trug einen mit winzigen Papierrosen garnierten Strohhut, der höchstens einmal pro Jahr das Tageslicht erblickte. Da man den Faliers nichts schenken konnte, was sie nicht schon besaßen - und ganz gewiß in besserer Qualität -, brachten die Brunettis Blumen mit. Und obwohl der ganze Palazzo mit üppigen Arrangements geschmückt war, pries die Contessa ihre Rosen so überschwenglich, als handele es sich um die ersten Exemplare einer neuen Züchtung. Chiara hielt angesichts der Blumenorgie aus dem Stegreif einen Vortrag über den horrenden Energieverbrauch von Treibhauspflanzen, dem jedoch niemand Beachtung schenkte.
    Blumenmotive hatten auch bei der an Paola adressierten Einladung zu einer Galerieeröffnung Pate gestanden, wo drei junge Glaskünstler ihre Arbeiten vorstellen wollten. Den eingescannten Fotos nach zu schließen, entwarf einer florale Ornamente aus farbigem, mit Blattgold versetztem Glas; der zweite Vasen, deren Ränder er den Kelchblättern der Schnittblumen nachempfunden hatte, für die sie bestimmt waren; und der dritte, der offenbar einen traditionelleren Stil pflegte, Zylindervasen mit gerade geschliffenem Rand.
    Ein Kollege von Paola, der mit dem Galeristen befreundet war, hatte für die Vernissage Werbung gemacht. Und da die Kriminalitätsrate Venedigs gerade so niedrig war wie der Pegelstand des diesjährigen Frühjahrshochwassers, ließ sich auch Brunetti gern überreden. Die Galerie befand sich auf Murano, und er war gespannt, ob er Ribetti und dessen Frau dort antreffen würde; ein Wiedersehen mit De Cal auf einer Kunstausstellung schien zum Glück kaum zu befürchten.
    Die Vernissage begann an einem Freitagabend um sechs, was den Gästen reichlich Gelegenheit bot, bei einem Prosecco und ein paar Kanapees die Werke der Künstler zu betrachten und trotzdem rechtzeitig zum Abendessen nach Hause oder ins Restaurant zu gelangen.
    Erst als sie an den Fondamenta Nuove die Linie 41 bestiegen, kam Brunetti zu Bewußtsein, daß er seit Jahren nicht mehr auf Murano gewesen war. In seiner Kindheit, als sein Vater eine Zeitlang in einer fornace gearbeitet hatte, war er oft dort gewesen, seither aber nur noch selten, da von ihren Freunden keiner auf Murano wohnte und er auch beruflich noch nie dort zu tun hatte.
    Außer ihnen gingen noch drei, vier Paare an der Station Faro von Bord und strebten der Via Garibaldi zu. »Die in dem roten Mantel«, flüsterte Paola, während sie sich an Brunetti schmiegte und ihn unterhakte, »das ist Professoressa Amadori.«
    »Und ist er der Professore?« Brunetti zeigte mit der freien Hand auf den hochgewachsenen, graumelierten Begleiter der älteren Dame in Rot.
    Paola nickte. »Wenn du dich benimmst, einen höflichen und devoten Eindruck machst, dann stelle ich dich vielleicht vor«, versprach sie.
    »Ist sie so schlimm?« fragte Brunetti und faßte die Frau ins Auge, die eigentlich ganz harmlos aussah und die man sich gut vorstellen konnte, wie sie auf dem Rialto um den Preis für die Meeräschen feilschte. Von hinten betrachtet war sie leicht o-beinig und hatte ihre Füße in offenbar sehr unbequeme Schuhe gezwängt; ein Eindruck, der aber auch von ihrem Gang herrühren konnte: winzige Trippelschritte mit einwärtsgekehrten Zehen.
    »Noch schlimmer«, versicherte Paola. »Ich habe Studenten erlebt - Jungs, wohlgemerkt -, die nach dem mündlichen Examen bei ihr in Tränen aufgelöst waren. Für sie ist es fast schon eine Prestigefrage, sich nie mit den Leistungen der Kandidaten zufriedenzugeben.« Von der Auslage in einem Schaufenster abgelenkt, ließ Paola Brunettis Arm los und blieb kurz
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