Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
war noch ordentlich zerlegt, geöffnet und ausgeräumt worden. Aber schon der nächste Posten lag umgestürzt, mit eingerissenen Deckelklappen auf dem Boden. Und der dritte Stoß, der, in dem Brunetti die Papiere gefunden hatte, bot ein Bild der Verwüstung: Ein Karton war völlig zerfetzt, und der herausgerissene Papierwust ergoß sich in weitem Bogen bis hin zum nächsten Stapel. Signora Battestinis religiöse Kitschsammlung hatte buchstäblich ein Martyrium erlitten: Die Leiber und Glieder der Heiligen lagen in den unmöglichsten Positionen gottloser Promiskuität verstreut; ein Christus hatte sein Kreuz verloren und breitete suchend beide Arme danach aus; eine blaue Madonna war beim Aufprall gegen eine Mauer kopflos geworden, einer anderen ihr Jesusknäblein abhanden gekommen.
Brunetti ließ den Blick über das heillose Chaos schweifen und wandte sich dann an Pucetti. »Rufen Sie die Spurensicherung. Ich will sämtliche Fingerabdrücke sichergestellt haben.« Er legte Pucetti die Hand auf den Arm und drängte ihn zur Tür. »Am besten, Sie warten unten auf die Kollegen«, sagte er. Und unter Mißachtung all dessen, was er je über Tatortsicherung gelernt und gelehrt hatte, setzte er hinzu: »Ich will mich hier noch ein bißchen umsehen, bevor die Kriminaltechniker anrücken.«
Pucetti war so bestürzt über diesen eklatanten Regelverstoß, daß ihm Hören und Sehen verging. Trotzdem gehorchte er, schlüpfte vorsichtig, um sie ja nicht zu berühren, durch die Tür und begab sich nach unten.
Unterdessen erwog Brunetti die Konsequenzen, mit denen er zu rechnen hatte, wenn seine Fingerabdrücke auf den Papieren, Kartons und Nippsachen ringsumher entdeckt würden. Er konnte sie gegebenenfalls damit erklären, daß er die Zeit bis zum Eintreffen der Spurensicherung für eine erste Beweisaufnahme genutzt habe. Wenn er sich nicht gleich dazu bekannte, bei einer früheren, ungenehmigten Durchsuchung den Inhalt einiger Kartons überprüft zu haben.
Brunetti machte einen Schritt auf den vorderen Stapel zu, trat dabei mit dem rechten Fuß auf die Schneekugel mit der Krippenszene, die er im Halbdunkel übersehen hatte, rutschte aus und fiel vornüber. Zwar konnte er den Sturz mit den Knien abfangen, aber als er den Boden berührte, zerbrach etwas knirschend unter seinem Gewicht, und scharfe Splitter bohrten sich durch die Hose in seine Haut. Ein jäher Schmerz durchzuckte ihn, und er war so benommen, daß es einen Moment dauerte, bevor er sich wieder aufrichten konnte. Erst beugte er sich über sein Knie und sah, daß ein dünnes Rinnsal Blut durch den Stoff sickerte. Dann tastete er suchend nach dem, worüber er gestolpert war.
Es war eine dritte Madonna. Sein Knie hatte ihr den Leib zertrümmert, aber Kopf und Beine waren wunderbarerweise verschont geblieben. Gütig lächelnd blickte sie aus alles verzeihenden Augen zu ihm auf. Er bückte sich instinktiv, um zumindest die unversehrten Teile in Sicherheit zu bringen. Obwohl er sich vorsorglich auf das heile Knie stützte, tat die Bewegung dem anderen höllisch weh. Als er sich anschickte, die Scherben aufzusammeln, stieß er inmitten der geborstenen Gipsteile auf eine plattgedrückte Papierrolle. Verdutzt hob Brunetti die Beine der Madonna hoch und entdeckte unter ihren Fußsohlen eine kleine ovale Öffnung, die, ähnlich wie bei einem Salzstreuer, mit einem Korken verschlossen war. Das Papier hatte offenbar fest zusammengerollt in der hohlen Figur ein Versteck gefunden.
Brunetti schob Kopf und Beine der Madonna in seine Jackentasche und trat hinaus auf den Flur, wo er sich ans Fenster stellte, um seinen Fund in Augenschein zu nehmen. Um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen, faßte er das Papier mit den Fingerspitzen der Linken am oberen Rand und entrollte es mit den Fingernägeln der Rechten. Aber das Blatt schnellte immer wieder zurück, so daß er unmöglich entziffern konnte, was darauf geschrieben stand.
Während er sich vergebens abmühte, hörte er Pucetti von unten rufen: »Die Spurensicherung ist unterwegs, Commissario.« Gleich darauf erschien der junge Beamte auf dem Treppenabsatz, und Brunetti rief ihn zu sich. Wieder kniete er sich auf den Boden, rückte das Papier mit den Fingerspitzen beider Hände zurecht und hieß Pucetti, mit der Fußkante seitwärts den oberen Rand zu beschweren. Als das geschehen war, entrollte Brunetti das Blatt aufs neue, diesmal nur mit den Spitzen der kleinen Finger, und klemmte anschließend mit den Nägeln der Zeigefinger
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