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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Autoren: Donna Leon
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bog in ungebremster Fahrt in den Canale della Giudecca ein. Pucettis Weisung folgend, hatte der Bootsführer das Blaulicht, aber nicht die Sirene eingeschaltet.
    Auf den ersten erregenden Nervenkitzel folgte schlagartig peinliche Ernüchterung, und Brunetti schämte sich, daß er selbst inmitten von Tod und Verbrechen noch in einen solchen Geschwindigkeitsrausch verfallen konnte. Natürlich war dies kein Schulausflug und kein Räuber-und-Gendarm-Spiel; trotzdem schlug sein Herz höher, als er den Fahrtwind in den Haaren spürte und der Bug schlingernd durch die Wellen pflügte.
    Ein verstohlener Blick zu Pucetti erleichterte sein Gewissen, denn auf dem Gesicht des jungen Polizisten fand er die eigenen Empfindungen gespiegelt. Wie im Flug rasten sie an den anderen Booten vorbei, von wo man ihnen mit gereckten Köpfen nachsah, während sie in elegantem Schwung den Kanal entlangbrausten. Doch die Fahrt ging allzu rasch zu Ende; schon bog der Bootsführer in den Rio di Sant' Eufemia ein, schaltete in den Rückwärtsgang, und die Barkasse glitt geräuschlos ans linke Ufer. Als er und Pucetti von Bord gingen, kamen Brunetti Zweifel, ob es richtig war, diesen sanftmütigen jungen Mann mitzunehmen statt einen wie Alvise, der zwar nicht minder anständig war, aber für einen Einsatz wie diesen den Vorzug hatte, daß er aussah wie ein Schlägertyp.
    »Ich will dem Jungen Angst einjagen«, erklärte er, sobald sie über die Uferpromenade auf die Akademie zuschritten.
    »Nichts leichter als das, Signore«, versetzte Pucetti.
    Während sie den Hof überquerten, hatte Brunetti das Gefühl, daß neben ihm etwas in Bewegung geriet, und als er im Gehen einen Blick auf Pucetti warf, war er so überrascht, daß er fast aus dem Tritt gekommen wäre. Pucettis Schultern hatten sich scheinbar verbreitert, und sein Gang war der eines Boxers oder Hafenarbeiters. Der vorgereckte Kopf saß auf einem bulligen Nacken, seine Hände zuckten, als warteten sie nur auf den Befehl, sich zu Fäusten zu ballen, und jeder Schritt war wie eine Drohung an den Boden unter seinen Füßen, ihm nur ja kein Hindernis in den Weg zu stellen.
    Pucettis Blicke schweiften lauernd über den Hof. Mit raubtierhafter Gier nahm er die Kadetten einen nach dem anderen ins Visier. Um seinen Mund lag ein hungriger Zug, und seine Augen hatten alle Wärme und jeden Humor verloren.
    Unwillkürlich verlangsamte Brunetti den Schritt und ließ Pucetti vorangehen - wie ein Kreuzfahrtschiff in der Antarktis einem Eisbrecher die Vorfahrt läßt. Die wenigen Kadetten, die um diese Stunde auf dem Hof waren, verstummten mit einem Schlag, als die beiden vorüberschritten.
    Auf dem Weg zu den Schlafräumen nahm Pucetti zwei Stufen auf einmal, während Brunetti in gemächlicherem Tempo folgte. Vor der Tür zu Filippis Zimmer hob Pucetti die Faust und ließ sie mehrmals in rascher Folge auf das Holz niedersausen. Über den ganzen Flur hinweg hörte Brunetti den erschrockenen Aufschrei von drinnen und sah gleich darauf, wie Pucetti die Tür so ungestüm bis zum Anschlag aufstieß, daß sie mit dumpfem Aufprall gegen die Wand schlug.
    Als Brunetti ihn einholte, stand Pucetti breitbeinig auf der Schwelle, die Arme so in die Seiten gestemmt, daß die Schultern noch muskulöser wirkten als zuvor.
    Ein schmächtiger blonder Junge mit aknevernarbten Wangen, der halb sitzend, halb liegend auf dem oberen Stockbett hockte, drückte sich ängstlich gegen die Wand und zog die Beine an, als wolle er sie vor Pucettis Gebiß in Sicherheit bringen. Sowie er Brunetti kommen sah, hob Cappellini die Hand, aber nicht abwehrend, nein, er winkte ihn eifrig näher.
    »Was wollen Sie?« stammelte der Junge in blankem Entsetzen.
    Auf seine Frage hin drehte Pucetti sich langsam nach Brunetti um, als erwarte er den Befehl, aufs Bett zu steigen und den Kadetten mit Gewalt herunterzuholen.
    »Nein, Pucetti«, beschied ihn der Commissario in einem Ton, in dem man normalerweise mit Hunden spricht.
    Pucetti ließ die Hände ein Stück weit sinken und wandte sich wieder dem Jungen auf dem Bett zu, bevor er mit dem Absatz die Tür zuschlug.
    In das spannungsgeladene Schweigen hinein fragte Brunetti: »Cappellini?«
    »Jawohl.«
    »Wo waren Sie in der Nacht, als Kadett Moro getötet wurde?«
    Ohne nachzudenken, sprudelte der Junge mit hoher Fistelstimme hervor: »Ich war's nicht. Ich habe ihn nicht angerührt.« Vor lauter Angst wußte er nicht einmal, was er damit gestanden hatte.
    »Aber Sie wissen, wer es war«, versetzte
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