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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Autoren: Donna Leon
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dem Jungen allmählich seine Befangenheit. Er setzte sich auf den Schreibtisch, griff nach einem Päckchen Zigaretten und hielt es Brunetti hin. Als der verneinend den Kopf schüttelte, fischte der Junge sich eine Zigarette heraus und tastete über die Tischplatte, bis er, unter einer Kladde versteckt, ein Plastikfeuerzeug fand.
    Er zündete die Zigarette an, warf das Feuerzeug wieder hin und nahm einen tiefen Zug. Brunetti fiel auf, wie sehr er sich anstrengte, älter und weltläufiger zu wirken, als er war. Dann blickte der Junge zu ihm auf und sagte: »Weil ich mir die Musik aussuchen kann, die Schule aber nicht.«
    Brunetti sah zwar ein, daß das für sein Gegenüber einen gewaltigen Unterschied machte, wollte indes nicht näher darauf eingehen und erkundigte sich statt dessen nach dem Namen des Jungen. Wobei er umstandslos zum vertraulichen tu überging, wie er das vom Umgang mit den Freunden seiner Kinder gewohnt war.
    »Giuliano Ruffo«, lautete die Antwort.
    Nun stellte sich auch Brunetti vor, ganz formlos, also nur mit Namen, ohne Dienstgrad. Dabei machte er einen Schritt auf Ruffo zu, der sich aufrichtete und die Hand schüttelte, die Brunetti ihm entgegenstreckte.
    »Kanntest du ihn? Ich meine den Toten.«
    Ruffos Miene erstarrte, die Ungezwungenheit war dahin, und er schüttelte nur mechanisch den Kopf. Ehe Brunetti fragen konnte, wie denn jemand in dieser eher kleinen Schule hatte anonym bleiben können, meinte der Junge:
    »Das heißt, ich habe ihn nicht gut gekannt. Wir hatten nur ein Fach zusammen.« Auch seine Stimme klang nicht mehr unbefangen, und er stieß die Worte so hastig hervor, als wolle er sich von dem Gesagten distanzieren.
    »Welches denn?«
    »Physik.«
    »Und was hast du sonst noch belegt?« fragte Brunetti. »Du bist in der zweiten Jahrgangsstufe, oder?«
    »Jawohl. Wir haben Latein, Griechisch, Mathematik, Englisch und Geschichte, und dazu kommen noch zwei Wahlfächer.«
    »Und bei dir ist eins davon Physik?«
    »Ja, Signore.«
    »Und das andere?«
    Die Antwort ließ lange auf sich warten. Offenbar wollte der Junge erst einmal herausfinden, was dieser Mann mit all seinen Fragen bezweckte. Allein, Brunetti tappte selbst noch im dunkeln: Im Moment konnte er nichts weiter tun als Eindrücke sammeln, die Atmosphäre an der Schule einfangen; vorläufig hatten alle Informationen mehr oder weniger den gleichen Zufallswert und würden erst dann einen Sinn ergeben, wenn sie sich Steinchen um Steinchen zu einem Muster fügten.
    Der Junge drückte die Zigarette aus, schielte nach dem Päckchen, steckte sich jedoch keine neue an. »Und? Dein zweites Wahlfach?« fragte Brunetti.
    Widerstrebend, als gäbe er damit womöglich eine Schwäche preis, antwortete der Junge endlich: »Musik.«
    »Na, bravo«, versetzte Brunetti umgehend.
    »Warum sagen Sie das, Signore?« fragte der Junge neugierig. Oder vielleicht war er auch nur erleichtert über die Rückkehr zu einem unverfänglichen Thema.
    Da Brunettis Reaktion ganz spontan erfolgt war, mußte er sich nachträglich eine Begründung einfallen lassen. »Ich lese gern Geschichtsbücher«, begann er, »und da bekommt man eben auch sehr viel Militärgeschichte mit.«
    Der Junge nickte, und sein offenkundiges Interesse spornte Brunetti an. »Etliche Historiker behaupten, Soldaten verstünden sich nur auf eines, nämlich das Kriegshandwerk.« Wieder nickte der Junge. »Aber auch wenn sie das noch so gut beherrschen - es reicht nicht. Damit allein kommt man nicht durchs Leben.« Er lächelte den Jungen an, und der lächelte zurück. »Es ist das große Manko der Militärs, daß sie sich nur aufs Kriegführen verstehen.«
    »Wenn Sie das doch meinem Großvater plausibel machen könnten«, sagte Ruffo.
    »Er ist nicht der Meinung?«
    »O nein! Er mag das Wort ›Musik‹ nicht einmal hören, zumindest nicht von mir.«
    »Was würde er denn lieber hören? Daß du dich duelliert hast?« fragte Brunetti, der keine Hemmungen hatte, dergestalt die großväterliche Autorität zu untergraben.
    »Ja, das würde ihm gefallen, besonders wenn es ein Duell auf Säbel wäre.«
    »Und du mit einem Schmiß auf der Wange nach Hause kämest?« legte Brunetti nach.
    Diese absurde Vorstellung brachte beide zum Lachen, und just in dem Moment, da sie sich in entspanntem Einvernehmen über säbelrasselnde militärische Bräuche mokierten, überraschte sie Comandante Bembo.

4
    R uffo!« blaffte eine Stimme hinter Brunetti.
    Dem Kadetten gefror das Lächeln auf den Lippen.
    Hastig
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