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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen
Autoren: Robert Silverberg
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Schädelreihe vorbeikam, kniete ich kurz nieder und hob einen der Steine vom Boden – ich brauchte beide Hände, um ihn zu tragen, und ich vermute, er wog zwanzig oder dreißig Pfund –, und ich lief wieder weiter und erreichte Timothy genau an der Stelle, wo der Pfad begann. In einer einzigen graziösen Bewegung hob ich den Steinschädel und ließ ihn mit a l ler Kraft auf Timothys Hinterkopf niedersausen. Und über meine Finger empfing ich durch die Basaltkugel die sinnliche Wahrnehmung von zerbrechenden Knochen. Ohne einen Laut stürzte Timothy zu Boden. Der Stei n schädel war voller Blut; ich ließ ihn fallen, und er blieb dort liegen, wo er aufgekommen war. Timothys goldenes Haar färbte sich rötlich. Der rote Fleck breitete sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit aus. Jetzt ist es für mich wichtig, Zeugen zu finden, sagte ich mir, und um die z u ständigen Riten zu ersuchen. Ich sah auf das Schädelhaus zurück. Meine Zeugen waren bereits vorhanden: Ned, nackt, und Bruder Antony in seinen verschlissenen bla u en Shorts standen vor der Fassade des Gebäudes. Ich ging zu ihnen. Ned nickte: Er hatte alles beobachtet. Vor Bruder Antony fiel ich auf die Knie, und er legte seine kühle Hand auf meine fiebrige Stirn. Sanft sagte er: „Vernehmt das Neunte Mysterium: Der Preis eines L e bens ist immer ein Leben. Wisset, Hochwohlgeborene, daß die Ewigkeit durch Auslöschung im Lot gehalten wird.“ Und dann sagte er: „Da wir im Leben täglich ste r ben, sollen wir durch das Sterben ewig leben.“

41. KAPITEL
Ned
     
    Ich versuchte, Oliver dazu zu bewegen, beim Begraben Timothys zu helfen, aber er schmollte in seinem Zimmer wie einst Apollo in seinem Zelt, und so blieben nur Eli und ich für diese Arbeit übrig. Oliver wollte seine Tür nicht öffnen, er reagierte auf mein Klopfen noch nicht einmal mit einem säuerlichen Grunzen. Ich ließ ihn in Ruhe und kehrte wieder zu der Gruppe draußen, auße r halb des Hauses, zurück. Eli stand neben dem liegenden Timothy und zeigte eine ekstatisch verklärte Miene; er glühte. Sein Gesicht war stark gerötet, und sein Körper glänzte überall vor Schweiß in der Morgensonne. Um ihn herum standen vier Brüder, die vier Hüter: Bruder Ant o ny, Miklos, Javier und Franz. Sie schwiegen und schi e nen mit dem Verlauf der Ereignisse ganz zufrieden zu sein. Bruder Franz hatte Totengräberwerkzeug gebracht: Picken und Schaufeln. Der Friedhof, sagte Bruder Ant o ny, liege nur ein kurzes Stück Weg in der Wüste.
    Vielleicht wollten die Brüder aus Reinheitsvorschri f ten den Leichnam nicht berühren. Ich bezweifelte, daß Eli und ich Timothy weiter als zehn Schritte tragen kon n ten. Aber Eli schien sich davon überhaupt nicht beei n drucken zu lassen. Er kniete sich hin, verhakte Timothys Füße miteinander, packte ihn sich mit der Brust aufs Kreuz und bedeutete mir, Timothy an der Körpermitte hochzuheben. Hepp! Wir zogen und hoben und zerrten den zweihundert Pfund schweren Brocken vom Boden und schwankten etwas. Bruder Antony führte uns, Eli und ich marschierten zum Friedhof; die anderen Brüder blieben im Hintergrund. Obwohl die Morgendämmerung gerade vorbei war, brannte die Sonne bereits gnadenlos auf uns herab. Die Anstrengung, diese furchtbare Last durch den schimmernden Hitzedunst der Wüste zu tr a gen, zwang mich in einen quasi halluzinatorischen Z u stand. Meine Poren öffneten sich, die Knie wurden weich, der Blick meiner Augen verschwamm, und ich fühlte, wie eine unsichtbare Hand mir die Kehle z u schnürte. Ich geriet plötzlich auf einen Replay-Trip und sah blitzlichtartig Elis großen Moment in Zeitlupe wi e der. Die Kamera hielt an den kritischen Stellen jeweils inne. Ich sah Eli laufen, sah, wie Eli sich bückte, um die schwere Basaltkugel hochzureißen, wie Eli Timothy wieder verfolgte, wie Eli ihn einholte, sich wie ein Ste h aufmännchen hochreckte, die Muskeln seines rechten Arms sich von der außergewöhnlichen Anstrengung he r auswölbten, wie Eli langsam seinen Arm auf wunderbar fließende Weise ausstreckte, nach vom reckte, als wollte er Timothy auf den Rücken klopfen, aber statt dessen leicht und glatt den Steinschädel auf Timothys zerbrec h lichen Schädel hinabsausen ließ; wie Timothy zusa m mensackte, fiel und schließlich still dalag. Wieder und wieder und wieder. Die Jagd, der Angriff, der Aufprall, wie in einer magischen Wochenschau des Verstandes. Diese Bilder wurden von anderen vertrauten Todesbi l dern gekreuzt, die sich wie
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