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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen
Autoren: Robert Silverberg
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füllen. Wir packten unsere Schaufeln und kippten Erde hinunter. Mach’s gut, Timothy! Du goldener Sproß der WASP-Kaste, Erbe von acht Generationen sorgfältigster Zucht! Wer wird deine Kapitalanlagen erhalten, wer den Namen deiner Familie weitertragen? Staub zu Staub. Eine dünne Lage Arizonaerde bedeckt jetzt die massige Gestalt. Wie Roboter schuften wir, Timothy, und du entschwindest aus unseren Augen. Es war alles von Anfang an festg e legt. Wie es im Buch der Schädel vor zehnlausend Jahren niedergeschrieben wurde.
    „Alle regulären Veranstaltungen fallen für heute aus“, sagte Bruder Antony, als das Grab gefüllt und die Erde darüber festgetrampelt worden war. „Wir werden den Tag mit Meditation verbringen, keine Mahlzeiten zu uns nehmen und uns ganz der Betrachtung der Mysterien widmen.“ Aber noch mehr Arbeit erwartet uns, bevor wir mit unseren Betrachtungen beginnen konnten. Wir keh r ten ins Schädelhaus zurück und beabsichtigten, zunächst zu baden. Und wir entdeckten Bruder Leon und Bruder Bernard auf dem Gang vor Olivers Zimmer. Ihre Gesic h ter waren zu Masken erstarrt. Sie deuteten ins Zimmer hinein. Oliver lag mit dem Gesicht nach oben auf seinem Bett ausgebreitet. Er muß sich aus der Küche ein Messer ausgeliehen haben, und wie ein Chirurg, der er nun nie mehr werden konnte, hatte er an sich selbst präzise A r beit geleistet, an Hals und Unterleib, und auch das verr ä terische Glied zwischen den Schenkeln hatte er nicht ausgespart. Die Einschnitte waren tief und von fester Hand gemacht: diszipliniert bis zum Ende, hatte der u n beugsame Oliver sich mit seiner charakteristischen Vo r liebe für methodisches Vorgehen selbst geschlachtet. Ich hätte das so wenig zustandebringen können, wie auf e i nem Mondstrahl spazierenzugehen. Aber Oliver hatte immer erstaunliche Fähigkeiten der Konzentration g e habt. Wir betrachteten das Ergebnis seiner Arbeit seltsam leidenschaftslos. Es gibt eine ganze Menge Dinge, vor denen ich mich ekle, und Eli auch, aber an diesem Tag, da das Neunte Mysterium sich erfüllte, wurde ich von all diesen Schwächen befreit. „Es ist einer unter euch“, sagte Bruder Antony, „der zugunsten seiner Brüder in der Vi e rerfigur auf die Unsterblichkeit verzichten will, so daß sie die Erkenntnis der Bedeutung der Selbstaufgabe e r ringen können.“ Jawohl. Und so stapften wir ein zweites Mal zu dem Friedhof. Und später schrubbte ich, aus B u ße für meine Sünden, die dicken, geronnenen Flecken in jenem Zimmer ab, in dem Oliver gewohnt hatte. Danach badete ich, saß allein in meinem Zimmer und studierte die Mysterien des Schädelkults.

42. KAPITEL
Eli
     
    Der Sommer liegt schwer auf dem Land. Die Hitze des pulsierenden Himmels betäubt. Alles scheint vorb e stimmt und in der richtigen Ordnung zu sein. Timothy schläft. Oliver schläft. Ned und ich sind übriggeblieben. Diese Monate haben unseren Körpern gutgetan, und u n sere Haut ist von der Sonne dunkel geworden. Wir leben in einer Art Wachtraum und gleiten friedlich durch uns e re tägliche Routine von Arbeit und Riten. Wir sind noch keine fertigen Brüder, aber die Zeit unserer Prüfung n ä hert sich dem Ende. Zwei Wochen nach der Beerdigung schaffte ich auch das Ritual mit den drei Frauen, und seit dieser Zeit habe ich keine Schwierigkeiten mehr mit allen Aufgaben, die die Brüder mir vorsetzen.
    Die Tage fließen zusammen. Wir sind schon sehr, sehr lange hier. War es im April gewesen, als wir zum e r stenmal zu den Brüdern kamen? Der April von welchem Jahr? Und welches Jahr schreiben wir jetzt? Ein Wachtraum, ein wirklicher Wachtraum. Manchmal denke ich, daß Timothy und Oliver nur Figuren aus einem Traum sind, einem Traum, den ich vor langer Zeit g e träumt habe. Ich beginne die Einzelheiten in ihren G e sichtern zu vergessen. Blonde Haare, blaue Augen, ha, aber was noch? Welche Form hatten ihre Nasen, wie ra g te ihr Kinn hervor? Ihre Gesichter verblassen. Timothy und Oliver sind gegangen, und Ned und ich sind gebli e ben. Ich kann mich immer noch an Timothys Stimme erinnern: ein warmer, geschmeidiger Baß, gut im Griff gehalten, wunderbar moduliert, mit einer Spur nasal-aristokratischer Beugung. Und Olivers Stimme: ein sta r ker, klarer Tenor, kein Akzent erkennbar, der akzentlose Amerikaner aus den Prärien. Mein Dank ist ihnen sicher. Sie sind für mich gestorben.
    Heute morgen schwankte mein Glaube, nur für einen Moment, aber es war ein erschreckender Augenblick. Ein Abgrund, der sich unerwartet
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