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Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition)
Autoren: Jacques Berndorf
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Und er scheute sich auch nicht, privat zu werden. »Ich höre, deiner Waltraud geht es nicht gut.«
    »Nein«, antwortete Krause sehr steif. »Man hat Brustkrebs bei ihr festgestellt.«
    Wahrscheinlich dachten sie in dem Augenblick beide an die seltenen privaten Treffen in irgendeiner Wohnung zurück, wenn ein Geburtstag oder eine silberne Hochzeit gefeiert worden waren. Selbstverständlich unter strikter Vermeidung aller Themen, die irgendwie mit dem Geheimdienst zu tun hatten. Es waren eindeutig rührende Treffen gewesen mit einem Hauch von Vertraulichkeit und der Betonung darauf, dass Geheimdienstler tatsächlich so etwas wie Privatleben hatten. Aber irgendwann hatten sie die Versuche aufgegeben, hatten nicht mehr gefeiert, weil Festefeiern zu Menschen wie ihnen einfach nicht passte.
    »Ist er heilbar?«
    »Wenn sie Metastasen finden, kaum. Das wird sich in diesen Tagen klären.«
    »Schlimm«, sagte Esser. »Was willst du genau wissen?«
    »Zunächst, für wie plausibel du unsere These vom Verkauf einer Bombe hältst.«
    »Oh, das ist durchaus vorstellbar. Es ist das konsequente Durchziehen einer Politik, die zwischen extremer Arschkriecherei und penetranter Erpressung der Welt schwankt. Die herrschende Clique ist absolut skrupellos. Das gilt für den Diktator Kim Jong Il, der seinem Vater nachfolgte, ebenso wie fürs Militär und die gesamte Administration. Man kann von etwa siebenhundert herrschenden Männern ausgehen, Frauen kommen so gut wie nicht vor. Der Staat ist ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg. Er wird kommunistisch genannt, dabei ist es ein Land der Autokraten, ein unglaublich bizarres Gebilde. Der Vater des jetzigen Diktators hat immer noch den Posten des Präsidenten inne, obwohl er schon seit 1994 tot ist. Er wird der ewige Präsident genannt. Er ruht in einem Mausoleum, genauso wie Ho Chi Minh in Hanoi, für das sein Sohn zweihundert Millionen Dollar hingeblättert hat.«
    »Also wieder mal ein Fall von massivem Personenkult. Erzähl mir noch ein bisschen davon«, bat Krause.
    »Vater und Sohn nutzen aus, was in Korea zum guten Ton gehört: Die innige und fraglose Verehrung der Ahnen und lebenden Mächtigen. Gemessen an der Fläche des Landes, haben sie dort eine der größten Armeen dieses Planeten, Militarismus ist Alltag, Militärs sind absolute Götter. Und sie stellen sich gegenüber ihrem Volk ständig so dar, als lebten sie in einem Krieg. Sie spannen Fahnen über die Straße, auf denen steht: Fest zum Gedenken an den Sieg Nordkoreas über die Vereinigten Staaten am 27. Juli. Dabei gab es einen solchen Sieg im Koreakrieg nicht. Es gab nur bizarre Waffenstillstandsverhandlungen. 1953 war das.«
    »Innenpolitisch galt die Lage doch als sehr stabil«, hakte Krause nach.
    »Kein Wunder«, erklärte Esser. »Mit seinen dreiundzwanzig Millionen Einwohnern ist Nordkorea ein Staat, der sich weitgehend auf Lager und Straflager verlässt. Ein Staat voller geheimer Zuträger, eine wahnwitzige Zusammenballung von Spitzeln, weshalb ich nach Ende der Diktatur – wenn es jemals so weit kommt – dazu raten würde, die Türen zu schließen und das Völkchen allein zu lassen. Die werden sich ihr Chaos selbst schaffen. Derzeit lebt vermutlich weit mehr als eine Million Menschen in Straflagern, zum Teil wegen geradezu lächerlicher Vergehen. Da reicht schon die Lektüre einer veralteten westlichen Tageszeitung. Und nicht selten wird gleich die ganze Familie inhaftiert.«
    »Was wissen wir noch, was nicht im Konversationslexikon steht?«, fragte Krause.
    »Es gibt als einzige internationale Bank der Nordkoreaner die Golden Star Bank in Wien, die aber im Wesentlichen dadurch auffiel, dass sie gefälschte Hundertdollarnoten verbreitete und ständig Geld wäscht. Das Land lebt in Wirklichkeit vom Schwarzmarkt und vom schwarzen Geld, kann aber seine Einwohner nicht ernähren, muss also von der Welthungerhilfe Hunderttausende Tonnen Grundnahrungsmittel annehmen, fast jedes Jahr.
    Der nordkoreanische Geheimdienst hat bei Diplomaten einen sehr schlechten Ruf, weil man glaubt, dass nicht einmal die wichtigsten Auslandsvertretungen ohne Wanzen sind, und weil dieser Geheimdienst nachweislich Flugzeugabstürze arrangierte und Attentate ausheckte. Und dieser Geheimdienst hat die Möglichkeit, jederzeit ohne Angabe von Gründen zu verhaften, wen auch immer. Kein Fremder kann sich in diesem Land frei bewegen, und die meisten Landschaften sind ohnehin verbotene Zonen. Und abends gehen die Lichter aus, es herrscht
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