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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn
Autoren: Colm Tóibín
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Kelly?«
    »Ja«, sagte Miss Kelly und stand mit einem grimmigen Lächeln auf. »Nur noch eins: Vergiss deinen Schirm nicht.«

    Auf der Straße suchte Eilis in ihrer Handtasche und stellte fest, dass sie den Brief von der Schiffahrtsgesellschaft mit der Telefonnummer für die Platzreservierung dabeihatte. Auf dem Market Square ging sie ins Godfrey’s und kaufte Schreibpapier und Briefumschläge. Sie ging die Castle Street und dann die Castle Hill entlang zum Postamt. Am Schalter nannte sie die Nummer, die sie anrufen wollte, und man forderte sie auf, in der Telefonzelle in der Ecke des Raums zu warten. Als das Telefon klingelte, nahm sie den Hörer ab und gab ihren Namen und weitere Details durch, worauf der Angestellte der Schiffahrtsgesellschaft ihre Unterlagen heraussuchte und ihr sagte, die nächste mögliche Abfahrt von Cobh aus sei am übernächsten Tag, am Freitag, und wenn das Datum ihr passte, könne er für sie ohne Aufpreis einen Platz in der dritten Klasse reservieren. Sobald sie sich einverstanden erklärt hatte, nannte er ihr die Abfahrtszeit und das voraussichtliche Ankunftsdatum, und sie legte auf.
    Sie bezahlte für das Telefonat und fragte nach Luftpostumschlägen. Sie ließ sich vier geben und ging in die kleine Schreibkabine am Fenster und schrieb vier Briefe. Bei Father Flood, Mrs. Kehoe und Miss Fortini entschuldigte sie sich lediglich für die Verspätung und teilte ihnen den Tag ihrer Ankunft mit. Tony schrieb sie, dass sie ihn liebe und er ihr fehle und dass sie, wie sie hoffe, Ende nächster Woche wieder bei ihm sein würde.Sie nannte ihm den Namen des Dampfers und die voraussichtliche Ankunftszeit und unterschrieb. Und dann, nachdem sie die anderen drei Umschläge zugeklebt hatte, las sie noch einmal durch, was sie Tony geschrieben hatte, und spielte mit dem Gedanken, den Brief zu zerreißen und sich einen neuen geben zu lassen, aber dann beschloss sie doch, ihn zuzukleben und zusammen mit den anderen am Schalter abzugeben.
    Während sie die Friary Hill hinaufging, merkte sie, dass sie ihren Schirm im Postamt vergessen hatte, ging aber nicht wieder zurück, um ihn zu holen.

    Ihre Mutter war in der Küche und spülte. Als Eilis hereinkam, drehte sie sich um.
    »Nachdem du gegangen warst, habe ich mir überlegt, dass ich besser mitgegangen wäre. Es ist ganz schön einsam da draußen.«
    »Auf dem Friedhof?« fragte Eilis und setzte sich an den Küchentisch.
    »Da warst du doch, oder?«
    »Ja, Mama.«
    Sie dachte, jetzt würde sie sprechen können, aber sie merkte, dass es nicht ging; sie brachte die Worte einfach nicht heraus, nur ein paar tiefe Atemzüge. Ihre Mutter drehte sich wieder um und sah sie an. »Ist alles in Ordnung? Ist etwas mit dir?«
    »Mama, es gibt etwas, was ich dir hätte gleich sagen sollen, als ich angekommen bin, aber jetzt muss ich es dir sagen. Bevor ich heimgefahren bin, habe ich in Brooklyn geheiratet. Ich bin verheiratet. Ich hätte es dir in dem Moment sagen sollen, als ich zurückgekommen bin.«
    Ihre Mutter griff nach einem Geschirrtuch und trocknete sich die Hände ab. Dann faltete sie das Tuch sorgfältig und methodisch zusammen und kam langsam an den Tisch.
    »Ist er Amerikaner?«
    »Ja, Mama. Er ist aus Brooklyn.«
    Ihre Mutter seufzte, streckte die Hand aus und hielt sich an der Tischkante fest, als könnte sie aus eigener Kraft nicht stehen. Sie nickte langsam.
    »Eily, wenn du verheiratet bist, solltest du bei deinem Mann sein.«
    »Ich weiß.«
    Eilis brach in Tränen aus und legte den Kopf auf ihre Arme. Als sie nach einer Weile, noch immer schluchzend, wieder aufschaute, sah sie, dass ihre Mutter sich nicht von der Stelle gerührt hatte.
    »Ist er nett, Eily?«
    Sie nickte. »Das ist er«, sagte sie.
    »Wenn du ihn geheiratet hast, muss er ja auch wohl nett sein, denke ich mir«, sagte sie.
    Die Stimme ihrer Mutter klang sanft und leise und beruhigend, aber Eilis erkannte am Ausdruck in ihren Augen, wieviel Anstrengung es sie kostete, möglichst wenig von dem auszusprechen, was sie empfand.
    »Ich muss zurück«, sagte Eilis. »Ich muss morgen früh los.«
    »Und das hast du mir die ganze Zeit verschwiegen?« sagte ihre Mutter.
    »Es tut mir leid, Mama.«
    Sie fing wieder an zu weinen.
    »Du musstest ihn nicht heiraten? Du warst nicht in Schwierigkeiten?« fragte ihre Mutter.
    »Nein.«
    »Und sag mir eins: Wenn du ihn nicht geheiratet hättest, würdest du dann trotzdem zurückfahren?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Eilis.
    »Du musst also morgen
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