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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn
Autoren: Colm Tóibín
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machte er ihr Platz, so dass sie sich mit dem Rücken an ihn lehnen konnte. Er legte die Arme um sie.
    Es war sonst niemand am Strand. Sie betrachteten die Wellen, die sich sanft auf dem Sand brachen, und sagten eine Zeitlang kein Wort.
    »Hat es dir auf der Hochzeit gefallen?« fragte er schließlich.
    »Ja«, erwiderte sie.
    »Mir auch«, sagte er. »Es ist für mich immer komisch, die ganzen Geschwister der Leute zu sehen, weil ich ein Einzelkind bin. Es muss für dich schlimm gewesen sein, deine Schwester zu verlieren. Es war ein merkwürdiges Gefühl, heute George mit seinen Brüdern und Nancy mit ihren Schwestern zu sehen.«
    »War es schwierig, als Einzelkind aufzuwachsen?«
    »Jetzt spielt es eine größere Rolle als früher, glaube ich«, sagte Jim, »wo meine Eltern allmählich älter werden und nur ich da bin. Aber vielleicht war es früher in anderer Hinsicht von Bedeutung. Ich bin mit Menschen irgendwie nie gut zurechtgekommen. Ich konnte mich mit Gästen im Pub unterhalten und all so was, das konnte ich. Aber ich meine, Freunde. Mich mit jemand anfreunden, das habe ich nie so recht gekonnt. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Leute mich nicht mochten oder nicht wussten, was sie von mir halten sollten.«
    »Aber du hast doch bestimmt eine Menge Freunde.«
    »Eigentlich nicht«, sagte er. »Und dann wurde es schwieriger, als sie anfingen, mit Mädchen zu gehen. Es ist mir schon immer schwergefallen, mich mit Mädchen zu unterhalten. Erinnerst du dich an den Abend, an dem ich dich zum erstenmal gesehen habe?«
    »Du meinst, im Athenaeum.«
    »Ja«, sagte er. »An dem Abend hat Alison Prendergast, mit der ich damals mehr oder weniger ging, auf dem Weg zum Tanzsaal mit mir Schluss gemacht. Ich war darauf gefasst gewesen, aber sie hat doch tatsächlich auf dem Weg zum Tanz Schluss gemacht. Und dann wusste ich, dass George Nancy wirklich mochte, und sie war da. Also konnte er mit ihr zusammensein. Und dann hat er dich zu uns geholt, und ich hatte dich schon in der Stadt gesehen, und du gefielst mir, und du warst allein, und du warst so nett und freundlich. Ich dachte, jetzt geht das schon wieder los. Wenn ich sie zum Tanzen auffordere, bringe ich kein Wort heraus, aber trotzdem dachte ich, ich sollte dich fragen. Ich fand es furchtbar,da so allein herumzustehen, aber trotzdem habe ich es nicht fertiggebracht, dich zu fragen.«
    »Du hättest es tun sollen«, sagte sie.
    »Und als ich dann gehört habe, dass du nach Amerika gegangen warst, hab ich gedacht: Mal wieder Pech gehabt.«
    »Ich erinnere mich an diesen Abend«, sagte sie. »Ich hatte den Eindruck, dass du keine von uns beiden leiden mochtest, weder mich noch Nancy.«
    »Und als ich dann gehört habe, dass du zurück warst«, sagte er, als hätte er ihr gar nicht zugehört, »und als ich dich gesehen habe, und du sahst so unglaublich gut aus, und ich war so deprimiert nach der ganzen Geschichte mit Nancys Schwester, da dachte ich, dass ich alles tun würde, um dich wiederzusehen.«
    Er zog sie näher zu sich heran und legte die Hände auf ihre Brüste. Sie hörte ihn schwer atmen.
    »Können wir über das reden, was du vorhast?« fragte er.
    »Natürlich«, erwiderte sie.
    »Ich meine, wenn du unbedingt zurückmusst, könnten wir uns vielleicht verloben, bevor du wegfährst.«
    »Vielleicht können wir bald darüber reden«, sagte sie.
    »Ich meine, wenn ich dich diesesmal verliere, also, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber –«
    Sie drehte sich zu ihm um, und sie begannen sich zu küssen, und sie blieben dort, bis der Nebel dichter wurde und allmählich die Nacht hereinbrach, dann machten sie sich auf den Weg zurück zum Wagen und fuhren nach Enniscorthy.

    Ein paar Tage später kam ein kurzer Brief, in dem Jims Mutter Eilis formell einlud, am folgenden Donnerstag zum Tee zu kommen, und ihr vom Empfang im Golfklub zu Rose’ Ehren berichtete, an dem sie anschließend teilnehmen könnten. Eilis zeigte den Brief ihrer Mutter und fragte sie, ob sie ebenfalls zum Empfang kommen wollte, aber ihre Mutter sagte, nein, das würde sie zutraurig machen, aber sie sei glücklich, wenn Eilis mit den Farrells hinging und auf diese Weise die Familie repräsentierte.
    Das ganze folgende Wochenende über regnete es. Am Samstag kam Jim vorbei, und sie fuhren nach Rosslare und aßen abends im Strand Hotel. Als sie beim Nachtisch saßen, war sie versucht, ihm alles zu erzählen, ihn um Hilfe, ja selbst um Rat zu bitten. Er war ein guter Mensch, sagte sie
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