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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition)
Autoren: Philippe Claudel
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Langes, dichtes blassblondes Haar.
    Es war der Schweif seines Pferdes.
    Die langen Haare hingen im Wasser wie Taue eines Schiffes, das noch am Kai festgemacht ist, eines Schiffes, das mit Mann und Maus untergegangen ist. Im Wasser sah man zwei große, reglose Körper, die in der Strömung sacht schaukelten. Das ertrunkene Pferd und der ertrunkene Esel, die mit offenen Augen unter der Wasseroberfläche trieben, boten ein unwirkliches, beinahe friedliches Bild. Auf dem Fell des Esels, ich weiß nicht, welche wissenschaftliche Erklärung es dafür gibt, schimmerten Tausende kleine Luftbläschen, die glänzten wie polierte Perlen. Die Mähne des Pferdes verwob sich mit den dichten Algen, die an dieser Stelle wuchsen, sodass die Tiere aussahen wie zwei Fabelwesen, die einen unwirklichen Tanz aufführten. Ein Strudel drehte ihre Körper langsam im Kreis, wie in einem sanften Walzer, begleitet nur vom rhythmisch verschobenen, plötzlich obszön wirkenden Zwitschern einer Amsel, die mit ihrem braunen Schnabel in der lockeren Erde der Uferböschung grub und lange rote Würmer ans Licht zog. Zunächst dachte ich, dass das Pferd und der Esel sich in einem letzten Reflex zusammengekrümmt und die Beine angezogen hätten, eine kauernde Haltung eingenommen hätten, wie auch Menschen es bei Kälte tun oder wenn Gefahr droht. Dann aber wurde mir klar, dass ihre Beine mit Stricken gefesselt waren.
    Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Und selbst wenn ich etwas gesagt hätte, dann hätte der Andere mich wohl kaum gehört, so in sich und seine Klage gekehrt schien er. Er versuchte, das Pferd aus dem Wasser zu ziehen, natürlich ohne Erfolg, denn das Tier war viel zu schwer. Niemand half ihm. Keiner rührte einen Finger. Schließlich zog die Menge sich zurück. Die Leute hatten genug gesehen, die Ersten wandten sich ab, und bald war keiner mehr da, außer dem Bürgermeister. Er war als Letzter erschienen, zusammen mit dem Zungfrost , der ein Ochsengespann hinter sich herzog und das Schauspiel ohne sichtliches Erstaunen betrachtete, vielleicht weil er es schon gesehen, vielleicht weil man ihn vorher informiert oder weil er sogar bei der Sache mitgemacht hatte. Ich bewegte mich nicht. Orschwir sah mich misstrauisch an:
    «Was hast du jetzt vor, Brodeck?»
    Ich verstand nicht, warum er mir diese Frage stellte, und wusste keine Antwort. Der Bürgermeister sprach nur mit mir, den Anderen beachtete er nicht.
    «Ein Pferd und ein Esel, die binden sich nicht selbst die Hufe zusammen», hätte ich fast gesagt, schwieg aber lieber.
    «Mach es wie die anderen und geh nach Hause», sagte Orschwir.
    Im Grunde hatte er recht. Ich tat also, was er sagte, und war schon einige Meter entfernt, als er mich noch einmal zurückrief.
    «Brodeck! Bring ihn ins Gasthaus zurück, bitte.»
    Ich weiß nicht wie, aber der Zungfrost hatte den Anderen dazu gebracht, den Schweif des Pferdes loszulassen. Reglos und mit hängenden Armen stand er am Ufer und sah zu, wie der Zungfrost den Schweif des Pferdes an einen langen Lederriemen band, der am Joch der Ochsen befestigt war. Ich legte dem Anderen die Hand auf die Schulter, aber er reagierte nicht. Da schob ich meinen Arm unter seinen, ging los, und er ließ sich führen wie ein Kind. Er gab jetzt keinen Laut mehr von sich.
    Ein einzelner Mann kann nicht auf diese Weise zwei Tiere töten. Auch zwei Männer würden das nicht schaffen. An dieser Tat waren also viele Männer beteiligt. Und was war das für eine Unternehmung, verdammt nochmal. Nachts in den Stall einzudringen, dann die Tiere, die alles andere als gefährlich, sondern sanft und zutraulich waren, herausführen – das war noch keine große Sache. Aber ihnen dann am Fluss, denn dort muss es passiert sein, die Beine festzuhalten und zu fesseln, sie zum Wasser zu tragen oder zu schleifen und hineinzuwerfen, das war schon wesentlich schwieriger. Wenn ich es recht bedenke, müssen es mindestens fünf oder sechs Männer gewesen sein, und zwar kräftige Kerle, die vor Huftritten und Bissen nicht zurückschreckten.
    Keiner im Dorf war erstaunt über das grausame Ende der Tiere. Manche waren der Ansicht, dass sie nur Kreaturen des Teufels sein konnten. Andere raunten sich sogar zu, sie hätten sie sprechen gehört. Aber viele dachten vor allem, dass man auf diese Art den Anderen endlich loswerden könne, damit er abhaute und dorthin zurückkehrte, woher er gekommen war, an einen weit entfernten Ort, den keiner von uns jemals kennenlernen wollte. Die
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