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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango
Autoren: Elisabeth Kabatek
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An Schalter 326 stand eine endlose Schlange von Menschen mit Tonnen an Gepäck. Absperrbänder leiteten die Passagiere im Zickzack zu den Schaltern. Ich kroch unter dem Band durch, schnitt einem Paar den Weg ab und drängelte mich an den nächsten freiwerdenden Platz. Hinter mir wurden Proteste laut.
    »He, Sie do!«
    »Des isch ja overschämd!«
    »Stellad Se sich gfälligschd henda a, wie älle andre au!«
    Die Frau am Check-in sah mich ungerührt an.
    »Bitte!«, rief ich atemlos. »Ich brauche Ihre Hilfe. Mein Freund … Exfreund ist wahrscheinlich da drin und fliegt nach Amsterdam. Und dann weiter nach China. Können Sie mir sagen, ob er eingecheckt hat?«
    Der Blick der Frau wurde kalt. Sie zupfte ihr Seidentuch zurecht. »Wenn Sie nicht mit uns fliegen, treten Sie bitte zur Seite. Sie halten die anderen Passagiere auf. Ich darf Ihnen keine Auskunft geben.«
    »Bitte!«, flehte ich.
    »Selbst wenn Sie Angela Merkel wären, dürfte ich Ihnen nicht sagen, ob Joachim da drinnen ist. Das kann mich meinen Job kosten!«
    »Ich habe alles verbockt. Das ist meine letzte Chance! Wenn ich ihn nicht mehr erwische, ist es endgültig vorbei mit uns!«
    »Es geht also um Leben oder Tod, ja?«, sagte die Frau sarkastisch und trommelte mit den Fingern auf dem Counter herum.
    Jetzt schossen mir die Tränen in die Augen. »Nein«, flüsterte ich. »Es geht nicht um Leben oder Tod. Es geht nur um zu lang hinausgeschobene Versöhnungen, missglückte Aussprachen, verpasste Liebeserklärungen, intrigante Rivalinnen, Katastrophen-Gene, mein Lebensglück und Leons Lebensglück. Das ganz normale Leben. Nichts Außergewöhnliches. Ein bisschen antike Tragödie und Daily Soap. Vielleicht springe ich nachher in den Neckar. Aber Leben oder Tod, das wäre wirklich übertrieben.«
    Die Frau am Schalter sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und schwieg.
    »Ich habe eine Idee«, sagte ich. »Ich sage Ihnen nur den Vornamen. Leon. Sie schauen, ob ein Leon eingecheckt hat. Dann haben Sie nicht wirklich Auskunft gegeben! Es könnte ja ein ganz anderer Leon sein als der, den ich suche.«
    Die Frau seufzte. Dann huschten ihre Finger flink über die Tastatur des Computers. Einen Augenblick herrschte konzentrierte Ruhe. Ich hielt die Luft an. Sie sah mich an und nickte fast unmerklich.
    »Vielen Dank«, sagte ich, packte ihre Hand und drückte sie fest. Innerlich stieß ich einen Freudenschrei aus. Lieber Gott, mach, dass dieser Leon nicht erst drei Jahre alt ist! »Gibt es irgendeine Möglichkeit, noch an ihn ranzukommen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Boarding beginnt in fünf Minuten. Dann sitzt er im Flieger.«
    »Und bis dahin?«
    »Könnten Sie ihn ausrufen lassen. An der Information. Rein kommen Sie nur mit einer Bordkarte. Viel Glück.«
    Ausrufen lassen? Und wenn Leon nicht reagierte? Das war zu riskant.
    »Es gibt einen Leon auf dem Flug. Ich brauche sofort ein Ticket«, rief ich Harald zu, der durch die Halle auf mich zueilte. Mit seinem Zahnarztkittel, der weißen Hose und dem Mundschutz zog er die Blicke auf sich. Einige Leute kicherten.
    »Dort oba gibd’s Laschd Minit«, sagte Harald und deutete auf die bunten Reisebüros eine Ebene höher. »Do ben i scho mol am gleicha Dag nach Fuerte gfloga. Aber des dauert z’ lang.« Er packte mich am Arm und zerrte mich hinter sich her.
    Am Rande der Halle war ein rot beleuchteter Counter, über dem in großen Lettern »Tickets« stand. Eine Frau und zwei Männer sahen uns erwartungsvoll an.
    »Mir brauchad a Ticket«, sagte Harald. »On zwar fir zom glei fliega.«
    »Wohin soll’s denn gehn?«
    »Des isch völlig wurschd«, sagte Harald. »Hauptsach, sie ka glei eichecka.«
    »Ihnen ist völlig egal, wohin?«, fragte die Frau mit dem roten Halstuch ungläubig. Ohne Halstuch schien auf dem Airport gar nichts zu gehen. »Da kann ich Ihnen nur Hamburg anbieten. Sie müssten sich wahnsinnig beeilen, und das Ticket kostet Sie ein paar Hundert Euro. Wenn Sie im Voraus buchen, kriegen Sie das schon für achtundzwanzig Euro!«
    Harald zückte eine fette Brieftasche und schlug sie auf. Darin lagen, sorgfältig in Fächern verstaut, ungefähr zehn Kreditkarten.
    »Jetz machad Se scho!« Die Frau langte kräftig in die Tasten ihres PCs. »320 Euro. Ihre Daten, schnell!«
    Ich schob meinen Ausweis über den Counter. Hamburg. War das nicht großartig? Ich flog mal eben zu einem Tässchen Kaffee bei Hilde und Güntha vorbei, den Eltern meines Exfreundes. »Harald, ich schwöre dir, ich zahle
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