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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman
Autoren: C.H.Beck
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und Blumenbeeten, gleich hinter dem Haus. Ich sah den Onkel zum ersten Mal in einem Anzug und wie er sich eine Krawatte band, die ihm gut stand, und nicht einmal sein weißes Hemd hatte einen verschmutzten Kragen. Die Nachbarn und Verwandten, Alte und Junge kamen, um uns ihr Beileid auszudrücken, die Tante war allseits beliebt gewesen, und keiner konnte leichtfertig über ihr Ableben hinwegsehen, weil sie in unserer Siedlung gewissermaßen das Ortsbild geprägt hatte und sich bestimmt auch keiner vorstellen mochte, wer diesen Platz nun einnehmen oder gar ausfüllen sollte. Wir standen vor unserem Haus und schüttelten beiläufig manche knochige Hand, der aufkommende Wind zerzauste die sorgsam gekämmten Haare, und der kurze Sommer neigte sich allmählich seinem Ende zu. Was für seltsame Gedanken der Wind oft mit sich bringt, als ob er nach und nach ein Stück von einem selbst von der schon eingeschlagenen Bahn ablenkt, (einem!) spöttisch das Licht ausbläst und sich erneut in die Wälder verzieht. Nachdem wir die Asche der Tante (ein wenig theatralisch) im Hof verstreut hatten, taten ein paar aufkeimende Windböen ihr Übriges.
    Schon am nächsten Tag nahm das Leben scheinbar seinen gewohnten Lauf … Die ersten Fensterläden wurden geöffnet und Pfeifen angefacht, und einige Mädchen boten auf der Straße sogar ein paar Erbsenschoten feil, und immerwenn einer der Burschen zugriff, blickten sie zufrieden und kicherten, sobald sie sich unbeobachtet wähnten. Ich selbst ließ mich nur einmal überreden und kostete davon, doch später erzählte mir der Onkel, dass sie die Erbsen zuvor in ihre Unterhöschen gesteckt hatten, wo diese eine ganze Weile verblieben.
Uns Männern eins auszuwischen, bereitet schon den Jüngsten diebische Freude
, lachte der Onkel,
lass es dir eine Lehre sein
… Eine Leere blieb tatsächlich immer in mir zurück.

III. Blutverlust

 
    Ich habe mir immer vorgestellt, wenn man ein Stück seiner Seele verliert, dass andere Organe diesen Platz ausfüllen, dass die Leber wächst und nach oben wandert (oben war doch einst der Sitz der Seele?), die Nieren den Platz der Leber einnehmen, die Hoden zu den Nieren wandern und so weiter, dass zur Not Geschwüre wachsen (gutartige), damit die Leere in einem selbst «überbrückt» wird, weil Hohlräume in einem Körper selten etwas Gutes bedeuten. Insgeheim glaube ich ja, dass ich meine Seele schon lange vor den Brenntagen verlor, dass etwas mit mir (und uns allen) nicht stimmte, dass die Welt einst eine andere war und wir mit ihr. Oder haben Kinder vielleicht gar keine Seele oder nur eine sehr kleine, die erst noch wachsen muss? Überhaupt … Haben es kleine Menschen nicht viel schwerer, Entfernungen zurückzulegen als größere Tiere?
    In mir wuchs langsam der Zorn, auf alles und jeden, die Nachbarn, denen ich tagtäglich zusah, die Siedlung, durch die ich mein ganzes Leben lang im Kreis lief, sogar die Mutter hätte ich liebend gern geschlagen, weil sie mich schamlos zurückgelassen hatte (was vermochten da schon Briefe auszurichten), und natürlich dem Onkel, der so viel wusste und doch zur Kenntnis nehmen musste, dass ich mich leer fühlte, dass ich mich nach Dingen sehnte, die mich zu einem echten Kind machten. Ich saß manchmal hinter dem Haus und befüllte nur so aus Spaß (oder gar innerer Notwendigkeit?) eine leere Regentonne, ich nahm zur Hand, was gerade da war, Käfer oder Kieselsteine, manchmal auch einfach nur Trinkwasser oder Mehl aus der nahen Küche. Nach dem Tod der Tante konnte ich im Haus schließlich tun und lassen, was ich wollte, weil der Onkel der Meinung war, dass ich mich entfalten müsse,das Haus solle am Leben bleiben, von Geräuschen durchdrungen (oder umgeben) werden, jedes Zimmer und alle Gänge, man sollte mit dem Gefühl leben können, alles sei gut und beim Alten.
    Der Onkel stellte sogar ein «Geräuschmerkblatt» zusammen, worin er festhielt, welche Geräusche seit dem Ableben der Tante fehlten, wo also Bedarf bestünde und ich gefordert wäre: beim Klappern von Küchengeschirr, dem Ausklopfen der Daunen, beim Kartoffelschälen und Tee kochen, Staubsaugen und so weiter, wobei es (wohlgemerkt) nicht um die Tätigkeiten an sich ging, sondern um die Geräusche, die diese verursachten. So gesehen saugte ich natürlich niemals Staub, ich tat es, damit wir zur Normalität zurückkehren konnten, manchmal holte ich den Staubsauger auch nur einfach aus dem Schrank und ließ ihn irgendwo in einer Ecke heiß laufen, dem Onkel
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