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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman
Autoren: C.H.Beck
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zuliebe.
    Der Onkel erstellte auch ein «Merkblatt der Düfte», da es in einem Haus, in dem zwei Männer lebten, anders roch, und er betonte, das müsse nicht sein. Wir pflückten demnach eifrig Blumen, die wir im Haus verteilten, streuten Waschpulver in jede noch so finstre Ecke, legten regelmäßig frischen Lavendel unter die Kleidung, und manchmal kaufte der Onkel sogar Tantes Lieblingsparfüm (für teure Goldmünzen), das wir sparsam, allerdings nur zu gern einsetzten, um die Erinnerung an sie möglichst lang zu bewahren. Ich glaube, die Leute in der Siedlung dachten insgeheim, dass der Onkel eine neue Frau gefunden hätte, und sie tuschelten und stichelten, ob er nicht länger hätte abwarten sollen und wer sie denn sei und ob der Junge damit zurechtkomme.
    Wenn man sich mithilfe von Geräuschen und Düften an einen Menschen erinnern kann (und ihn so am Leben erhält), ist das doch gar keine so schlechte Sache, wo doch eine «sinnliche» Wahrnehmung mehr zählt als die im Kopf kreisenden, launigen Gedanken. Ein paar Monate lang erkannte ich ganz deutlich überall Tantes Ordnung … dass nur sie die Küchentöpfe einzuräumen wusste (in einer Art und Weise, die mir nicht im Traum eingefallen wäre), dass sie doch tatsächlich Radiosendungen hörte, die keinesfalls meinem Geschmack entsprachen, dass sie die Bücher im Wohnzimmerregal nach Farben sortierte, die Buchrücken glichen irgendwie einem Regenbogen, weiß und gelb und dunkelblau (sachte verlaufend), die «schwarzen Werke» legte die Tante gar in eine Lade, die sie sorgfältig abschloss, weil doch Schwarz gar keine richtige Farbe und ich mittlerweile alt genug wäre, um dies zu wissen.
    Wenn im Frühling die Apfel- und Kirschbäume blühten, spielten die Kinder der Siedlung gerne Verstecken, wir behaupteten, um die Toten zu ehren, wo sich doch überall um uns herum angeblich so viele Geister verbargen. Es wurde uns jedenfalls von klein auf weisgemacht, doch vielleicht wollte man die Natur auch nur mit einem Gleichnis ehren. Manchmal spielten wir sogar mit den Kindern aus einem anderen Viertel, aber die waren stets viel zu leicht aufzufinden, in ihren sauberen Röcken und den strahlenden Hemden, man sah sie schon von Weitem, zwischen den Büschen schimmernd und im Schuppen kauernd, sie leuchteten in Kästen und Verschlägen, kein Versteck konnte da gut genug sein.
    Der Onkel wusch nur selten seine (und meine) Sachen, und hätte er sich uns angeschlossen, niemand hätte ihn je gefunden, so verdreckt war seine Kleidung und die Hautfarbe geradezu aschfahl. Als ich zum ersten Mal meine Wäsche wusch, griff ich mir einen Messbecher Waschpulver, vermengte dieses mit dem Weichspüler, nahm all meine Sachen (und meinen Mut zusammen) und ließ sie im Inneren der Wäschetrommel verschwinden … neunzig Grad, eine Stunde lang, mit Trockenschleudern. Später hing die Wäsche im Garten an der Leine, ich spannte sie zwischen zwei Apfelbäumen auf, die Farben hatten sich längst vermischt, alles schien grau und zartrosa. Beim Versteckspiel würde mich jedenfalls so schnell keiner mehr finden, und ich konnte es, ehrlich gesagt, kaum erwarten, bis meine Wäsche in der Sonne trocknete, um ihre Wirkung an den anderen Kindern zu erproben.
    Im Frühling nahm mich der Onkel gern mit auf Reisen, eigentlich zu Tagesausflügen, nur wenn er alleine loszog, blieb er oft eine ganze Woche oder noch viel länger weg. Ich kannte unsere Siedlung wie meine Westentasche, die nahen Wälder und Felder …
man kennt doch sein Land, wenn man es mit dem Fahrrad abfährt, atemlos und schweißgetränkt, nur so erwirbt man sich sein Recht auf die Kenntnis dieses Landes
, sagte mein Onkel. Mit ihm kam ich an Orte, die mir unbekannt waren, wo ich noch nie zuvor gewesen war, seltsame Dörfer und Städte, um die wir später gern einen großen Bogen machten. Wir querten Straßen und Wege, deren Verlauf mich irritierte … Immer wiesen sie in die Ferne, zu den nebelverhangenen Bergen, wo es beharrlich donnerte und blitzte. Manchmal spürten wir Tiere auf, die ich nicht einmal beim Namen kannte, sie waren nicht ganz so scheu wiedie Tiere in unseren Wäldern, ich berührte sie im Vorbeigehen, und manche schnappten nach mir, und andere lösten sich in Rauch auf, so seltsam konnten die sein.
    Der Onkel wusste immer, wie man welches Tier auf Abstand hielt (und warum) und wie man es töten konnte und warum es besser war, es zu töten, und warum es Sinn hatte, das eine oder andere am Leben zu lassen. Er wollte
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