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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame
Autoren: Michael Braun
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Minna sahen sich an . Minna verdrehte die Augen, als wollte sie sagen: kann man nichts machen, wenn man so geboren ist. Sie gingen zurück zum Haus und stiegen die Stuf en zum Windfang hoch. „Hast du das gehört?“, flüsterte Minna. „Er hat... gefurzt, glaube ich.“
    Die Mädchen unterdrückten ein Kichern, putzten si ch die Schuhe ab und betraten die Diele. Die Tür zur Stube war ge schlossen, dort würde um d iese Zeit niemand sein. Vor ihnen führte eine Holztreppe zur Dachbodenluke. Rechts davon, hinter der weiß gestrichenen Küchentür , klapperte etwas aus Metall. Sie hörten Stimmen , einen Mann, eine Frau.
    Sie schob en die Tür einen Spalt auf und sahen in die Küche. Warme, feuchte Luft kam ihnen entgegen. Auf dem Tisch in der Mitte standen die dunkelblaue n Emailtöpfe, in denen Oma Mathilde im Sommer und Herbst Marmelade kochte. Der Dampf hatte das Küchenfenste r beschlagen. Ihre Großmutter saß mit einem sch warzen Kopftuch vor dem Fenster, das Kinn gesenkt, und schnitt Bohnen .
    Christian Prudöhl stan d vor einem der beiden Öfen am Wasserkessel. Er hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt und wusch ein Stück Stoff in einer Blechwanne aus. Er war der einzige Mann in Leipzig, der einen altmodischen, gezwirbelten Schnurrbart trug.
    „Ah, da sind sie“, sagte er, als e r die Schwestern in der Tür sah. „Die Mädchen sind gekommen“, rief er ins Schlafzimmer der Eltern. „Frau Freier – Ihre Töchter sind hier...“
    Sie konnten nicht hören, was die Mutter erwiderte.
    Min n a setzte sich auf die Küchenbank neben Oma Mathilde , die ihre Hand nahm und streichelte , als würde sie einen Schuh abbürsten.
    Alma sah ins Schlafzimmer. Dr. Prudöhl und Irma Schilling hatten die Mutte r zur Kühlung mit einem nassen Laken zugedeckt, das Schultern und Kopf frei ließ. D ie Luft im Schlafzimmer kam ihr noch heißer vor als in der Küch e. Marga Freier hatte ihr Kopftuch heruntergezogen, ohne den Knoten zu lösen. Haarsträhnen klebten a n Stirn und Schläfen. Sie wandte Alma ihren Kopf zu, lächelte nicht, sah ihre Tochter nur an. Dann blickte sie wieder an di e Decke und schloss die Augen .
    Vor dem Bett der Eltern kniete Irma Schilling , deren Röcke sich auf dem Hinterteil zu einem dicken Wulst formten, und wisch te den Boden mit rosa Finger n und einem Feudel. Die kleine n, blauen Augen der Hebamme erinnerten Alma an ein neugeborene s Ferkel. Sie sahen sie für einen Moment an – matt, enttäuscht – und wandten sich wieder der Unsauberkeit der Geburt zu.
    Am Vormittag, als das Wasser im Obstgarten abgegangen war, hatte Oma Mathilde Hedwig losg eschickt, um nach der Hebamme zu suchen. An den meisten Tagen des Jahres ging Irma Schilling von Haus zu Haus und schnit t den Kindern, die es nötig hatten, mit ein er klappernden Schere die Haare – den Jungen öfter als den Mädchen, die fast alle Zöpfe trugen und mit Nadeln und Spangen hochsteckten. Doch wenn in Leipzig ein Kind kam, half sie. Das halbe Dorf hatte Irma Schilling auf die Welt gezogen, obgleich sie nie im Krankenhaus von Anschakrak a usgebildet worden war. Man musste , das war allen im Ort klar, mit dem leben, was man zur Verfügung hatte, auch wenn es ans Kinderkriegen ging.
    Prudöhl dagegen sah in Irma Schilling eine tüchtige Hilfe, nicht weniger, nic ht mehr. Von der Hebamme zum Wunderheil ertum war es nur ein klein er Schritt, der unbedingt zu vermeiden war, dachte er, und die Mennoniten – nun, es sollte jeder nach seiner Fassong glücklich werden, Friedrich zwo, aber die Fassong der Sektier er war nicht seine Sache, dies Selbstgerechte, Heiligheiligheilige. Gott wäre es sicher egal, ob ein Kindchen das Weihwasser abbe kam oder der Erwachsene rückling s im Kogälnik abtauchte, da musste man praktisch denken und sich nicht versteifen. Warum nur, fragte sich Prudöhl, mussten diese Leute so s tur und uneinsichtig sein ?
    Er ärge rte sich, wenn er in ein Haus kam und die Hebamme bereits in der Küche fand, w o sie das Kommando an sich genomm en hatte und ihm beim Hantieren mit Kesseln, Töpfen und Tüchern kaum Beacht ung schenkte. Am meisten missfiel ihm ihre rechthaber ische Art: Irma Schilling, fünfzehn Jahre älter als der Arzt, hatte einen besserwisserischen Zug, und sie hatte in ihrem Leben noch nie ein Geheimnis aus ihren Gedanken gemacht. Wo sie Irrtum und Fehler zu sehe n glaubte, sagte sie es, eher zu laut als leise . Das wurmte den Dok tor und machte ihn – es überrasch te ihn selbst – unsicher, auch
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