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Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Böse Geister: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Jetzt haben Sie Ihr wahres Gesicht gezeigt. Aber genug, genug, ich bin müde! Haben Sie doch endlich Erbarmen mit einem Menschen!«
    Stepan Trofimowitsch hatte »Erbarmen mit einem Menschen«, aber er fühlte sich unsicher, als er sich entfernte.
    V
    UNSER Freund hatte sich in der Tat nicht wenige üble Gewohnheiten zugelegt, zumal in der allerletzten Zeit. Er ließ sich offenkundig und zusehends gehen, und es traf auch zu, daß er sein Äußeres vernachlässigte. Er trank mehr, wurde weinerlicher und seine Nerven anfälliger; sein Sinn für das Schöne wurde gar zu empfindlich. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich eigentümlich und auffallend schnell, die allerfeierlichste Miene ging zum Beispiel unvermittelt in die komischste oder sogar dümmlichste über. Er ertrug kein Alleinsein und lechzte unaufhörlich nach Unterhaltung, wollte unbedingt Stadtklatsch hören, irgendeine Anekdote, und zwar täglich etwas Neues. Blieben die Besucher eine Weile aus, irrte er wie verloren durch die Zimmer, trat immer wieder ans Fenster, kaute gedankenversunken auf den Lippen, seufzte tief und war am Ende den Tränen nahe: Ahnungen suchten ihn heim, Angstzustände, er fürchtete Unerwartetes, Unvermeidliches, war schreckhaft geworden und achtete immer mehr auf seine Träume.
    Jenen ganzen Tag und auch den Abend war er außerordentlich melancholisch, ließ mich holen, war sehr erregt, erzählte lange, aber ziemlich verworren. Warwara Petrowna wußte schon längst, daß er vor mir nichts verbarg. Schließlich hatte ich den Eindruck, daß ihn eine ganz besondere Sorge bedrückte, die er möglicherweise sich selbst nicht einzugestehen wagte. Gewöhnlich, wenn wir uns früher unter vier Augen unterhielten und er seine Klagen anstimmte, wurde fast immer, nach einiger Zeit, ein Fläschchen gebracht, und alles erschien darauf in einem nicht mehr ganz so trüben Licht. Diesmal blieb der Wein aus, und er unterdrückte sichtlich immer wieder den Wunsch, welchen kommen zu lassen.
    »Warum ärgert sie sich immer«, jammerte er alle paar Minuten wie ein kleines Kind. » Tous les hommes de génie et de progrès en Russie étaient, sont et seront toujours des Kartenspieler et des Trunkenbolde, qui boivent en zapoï  … und ich bin noch keineswegs ein Kartenspieler und Trunkenbold … Sie macht mir Vorwürfe, daß ich nicht schreibe? Eine sonderbare Idee! … Warum ich auf der Bärenhaut liege? Sie sollen, sagte sie, als ›Vorbild und Vorwurf‹ dastehen. Mais, Entre nous soit dit, was kann denn ein Mann, der berufen ist, als ›Vorwurf‹ dazustehen, anders tun, als auf der Bärenhaut liegen – weiß sie denn das nicht?«
    Und endlich erklärte sich mir jener tiefe, besondere Schmerz, der ihn diesmal so hartnäckig quälte. An jenem Abend trat er häufig vor den Spiegel und blieb lange davor stehen. Schließlich wandte er sich vom Spiegel ab und sagte zu mir in eigentümlicher Verzweiflung:
    »Mon cher, je suis un heruntergekommener Mensch!«
    Ja, in der Tat, bis jetzt, bis zu eben jenem Tag, hatte er sich in einem einzigen Punkt beständig sicher gefühlt, ungeachtet aller »neuen Ansichten« und aller »wechselnden Ideen« Warwara Petrownas, und zwar darin, daß er immer noch eine Faszination auf ihr weibliches Herz ausübe, und dies nicht nur als Verbannter oder als illustrer Gelehrter, sondern auch als schöner Mann. Seit zwanzig Jahren wurzelte in ihm diese schmeichelhafte und beruhigende Überzeugung, und vielleicht wäre eine Trennung von ihr ihm schwerer gefallen als die von all seinen anderen Überzeugungen. Ob er wohl an jenem Abend ahnte, welch eine ungeheure Prüfung ihn in so naher Zukunft erwartete?
    VI
    NUN wende ich mich der Schilderung jener zum Teil amüsanten Begebenheit zu, mit der meine Chronik ihren eigentlichen Anfang nimmt.
    Endlich, in den allerletzten Augusttagen, kehrten auch die Drosdows aus dem Ausland zurück. Ihr Eintreffen erfolgte kurz vor der Ankunft ihrer von der ganzen Stadt sehnlichst erwarteten Verwandten, unserer neuen Gouverneursgattin, und erregte in der Gesellschaft bemerkenswertes Aufsehen. Aber von all diesen interessanten Ereignissen werde ich später berichten; jetzt möchte ich mich darauf beschränken, daß Praskowja Iwanowna der sie ungeduldig erwartenden Warwara Petrowna ein spannendes Rätsel mitbrachte: Nicolas hatte sich schon im Juli von ihnen verabschiedet und war, nachdem er sich am Rhein mit dem Grafen K. getroffen hatte, mit ihm und seiner Familie nach Petersburg gereist. (N B Die
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