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Blutskinder

Blutskinder

Titel: Blutskinder
Autoren: Sam Hayes
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erstarrten plötzlich alle, weil irgendwo ein Baby zu schreien begann. Leise zuerst, doch gleich darauf brüllte es aus Leibeskräften.
    Robert ließ Ruby los und stieß die Tür hinter Cheryl auf. Das Geschrei wurde lauter und kurz darauf kehrte Robert mit einem zappelnden Bündel in den Armen zurück. Er hielt es ungeschickt, wie eine Puppe, und strich ihm beruhigend über den Rücken, doch der Säugling brüllte in unverminderter Lautstärke weiter.
    »Ist das Ihr Baby?«, rief Robert Cheryl über den Lärm hinweg zu. Die schnappte sich mit einer raschen Bewegung das Kind, dessen Kopf dabei heftig nach vorne fiel, und rannte mit ihm die Treppe hinab.
    »O Gott!«, stöhnte Robert.
    Sie fanden Cheryl im Wohnzimmer. Mit dem Baby im Arm saß sie da, schaukelte abermals vor und zurück und sang dazu ihr Schlaflied. Das Kind hatte sich beruhigt und blickte zu Cheryl hoch.
    »Robert, ich finde, wir sollten wirklich …« Louisas Worte wurden von einem scharfen Klopfen an der Tür unterbrochen. Louisa ging öffnen. Draußen stand ein junges asiatisches Mädchen – die Schwangere von den Fotos.
    »Ist Cheryl zu Hause?«, fragte sie. Robert schaute sich um und bat sie hereinzukommen. Als das Mädchen sah, in welchem Zustand sich Cheryl befand, wurden seine Augen ganz groß. »Oh«, flüsterte es und ging zu der verwirrten Frau hinüber. »Warum ist sie so?« Cheryl saß da wie eine seelenlose Hülle. Sie schien die Anwesenheit der anderen wieder nicht mehr wahrzunehmen. »Wir haben sie schon so vorgefunden«, antwortete Robert und wollte das junge Mädchen gerade wegen des Babys befragen, als Louisa ihn unterbrach.
    »Kann ich mal kurz mit dir reden, Robert?«
    Mit erhobener Hand bat er sie zu schweigen. Er lauschte, weil Cheryls Lied gerade in gänzlich unverständliches Gebrabbel überging.
    »Ich muss aber unbedingt mit dir reden, Robert.« Louisa stand unschlüssig auf der Schwelle der geöffneten Tür, als wollte sie jeden Augenblick die Flucht ergreifen. »Hör mal, Rob, ich rufe jetzt James Hammond im Labor an. Die Testergebnisse dürften inzwischen da sein. Wir müssen die Wahrheit erfahren.«
    Sie sah Robert eindringlich an, als könnte sie ihn dadurch von seinem nächsten Schritt abhalten, doch er bemerkte es nicht. Und genauso wenig bemerkte er das kleine, resignierte, traurige Lächeln, mit dem sie sein Verhalten Ruby und Cheryl gegenüber bedachte. Das fremde Mädchen versuchte, zu Cheryl durchzudringen, doch Louisa erkannte, dass ihre Bemühungen vergeblich waren. »Warte nur noch einen Moment, Rob. Ich bin sofort zurück.«
    Endlich schaute Robert auf und zeigte mit einem leichten Nicken, dass er verstanden hatte. Jetzt ist es so weit, dachte er. Das ist die Bestätigung dessen, was ich schon längst weiß.
    Cheryl saß kerzengerade und hatte die Beine unter sich gezogen. Hin und wieder rührte sich das Baby auf ihrem Schoß ein wenig, doch die meiste Zeit kaute es ruhig an seinem Fäustchen, während Cheryl weiter ihren Klagegesang wimmerte. Als eine frische Brise durch die geöffnete Tür in das stickige Wohnzimmer wehte, hatte Robert geradezu das Gefühl, wiederbelebt zu werden – Cheryls Gegenwart hatte seinen Geist in der kurzen Zeit schon so benebelt, als hätte er Kohlenmonoxid eingeatmet. Die Verzweiflung dieser Frau war förmlich mit Händen zu greifen. Er bedauerte, ihren Kummer nicht einfach zusammenknüllen und weit fortschleudern zu können.
    »Hallo, James …«
    Louisa Worte wurden von einem vorüberrumpelnden Lastwagen und danach vom erneuten Jammern des Babys übertönt. Sosehr sich Robert auch anstrengte, er bekam nur einzelne Wortfetzen mit. Wieder einmal stand ihm die Szene vor Augen, wie Erin Cheryls Baby an sich genommen und mit ihm geflohen war.
    Meine Frau, die Entführerin, dachte er, doch zugleich nahm er in seiner Fantasie ihre zierliche Gestalt in die Arme. Er wünschte sich so sehr, dass sie wieder da wäre! Dafür hätte er alles gegeben. Doch plötzlich löste sich Erins Bild in Luft auf.
    »Wiederhol das noch mal … Ich kann dich nicht verstehen. Der Empfang ist so schlecht!«
    Das Gartentor schlug quietschend zu. Durch das Fenster sah Robert, wie Louisa auf der Straße hin und her lief, ärgerlich, weil sie James nicht richtig verstand. Vergeblich versuchte Robert, von ihren Lippen zu lesen.
    Was wäre, wenn er sich geirrt hätte? Er wusste sehr wohl, dass jeder einigermaßen tüchtige Anwalt eine Anklage gegen die junge Ruth Wystrach vor Gericht zerpflücken konnte. Nur
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