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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose
Autoren: Margie Orford
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hatte sie ihn hinter sich gelassen und war an dem verdatterten Hafenmeister mit dem Stapel Papiere in der Hand vorbei. Oben auf dem Deck schoss sie auf die Gangway zu; die Rufe der Männer, die sie beiseiteschubste, verwehte der Wind. Clare rannte an den Packern vorbei durch die Kühlhalle und aus dem Fabrikgelände.

52
    Clare legte den Gang ein und quetschte sich vor ein hupendes Taxi. Das Herz hämmerte in ihrer Brust. Ohne die Tränen zu bemerken, die ihr übers Gesicht liefen, fuhr sie in Richtung Lagune.
    Vor Ragnars Haus war kein Pickup und kein Hund zu sehen. Sie schaute zurück zum Hafen und stellte fest, dass die Alhantra schon unterwegs durch den schmalen Hafenkanal in Richtung offenes Meer war. Clare fuhr entlang der Lagune zurück, aber auch dort war keine Spur von Ragnar zu finden. Einen Fleck gab es noch, an dem sie suchen konnte. Keine fünf Minuten später rumpelte Clare die unbefestigte Straße entlang, die in die Salzmarschen führte, wo das Kuiseb-Delta mit dem Meer verschmolz. Ein gefährlicher Fleck zum Drachensurfen, aber einer, den Ragnar liebte.

    Das Erste, was sie wahrnahm, als sie sich dem Strand näherte, war der Labrador, der winselnd den Pickup umkreiste. Das Board war immer noch auf dem Dachträger montiert. Clare gefiel das Gefühl in ihrer Brust ganz und gar nicht. So als würde sich etwas Hartes, Kaltes darin breit machen und die Luft aus ihrer Lunge pressen. Sie fuhr auf Ragnars Pickup zu.
    »Komm her, Junge!«, rief Clare dem Hund zu.
    Der Hund blickte auf, winselte aber weiter und wollte nicht von dem Fahrzeug weichen. Clare näherte sich langsam, weil sie mit dem Schlimmsten rechnete, doch Ragnar saß auf dem Fahrersitz und starrte nach vorne aufs Meer. Clare zog die Tür auf und wäre um ein Haar zurückgesprungen, als er ihr entgegenkippte. Sie fing ihn in ihren Armen auf. Er lächelte matt zu ihr auf, mit eisblauen Augen unter der Wunde, die in seiner Stirn erblühte. Warm lag er auf ihrer Brust, und das Blut auf ihrem Hemd wirkte fröhlich rot. Clare verschluckte einen Aufschrei. Sie hievte ihn auf seinen Sitz zurück und legte einen Finger auf seinen Hals. Ein Puls.
    »Ich hole Hilfe«, sagte sie.
    Ragnar rutschte ihr wieder entgegen. Sie stemmte die Hüfte gegen seinen Körper und zog ihr Handy aus der Tasche. Ihre Hände zitterten, aber sie schaffte es, Tamars Nummer einzutippen. Erst nach dem zehnten Läuten antwortete jemand. Clare zählte jedes einzelne Läuten mit. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit.
    »Hallo?«
    »Tamar?«, fragte Clare. Die Stimme klang fremd.
    »Sie schläft gerade.«
    »Helena?«, fragte Clare.
    »Ja«, antwortete die Stimme. »Es tut mir leid …«
    »Hier ist Clare Hart. Ich brauche einen Krankenwagen.« Clare brachte die Worte nicht schnell genug über die Lippen. »Die Straße hinter den Salinen, in Richtung Pelican Point. Ragnar Johansson. Kopfschuss. Er lebt, aber nur noch knapp.«
Sie trennte die Verbindung, ohne eine Antwort abzuwarten.
    Ragnar rutschte weiter ab. Clare ließ das Handy fallen und drehte sich zu dem schlaffen Mann um. Sie zog den Gurt über seine Brust, um ihn aufrecht zu halten.
    »Beweg dich nicht«, beschwor ihn Clare mit klopfendem Herzen. »Der Krankenwagen ist schon unterwegs.«
    »Engel.« Ragnars Atem strich federleicht über ihr Ohr. Die blauen Augen flackerten. Die Wunde in seiner Stirn nässte, und seine Lider begannen zu flattern.
    »Nicht ohnmächtig werden, Ragnar. Sieh mich an. Sprich mit mir.«
    Ragnar gehorchte, sah zu Clare auf und versuchte seinen Blick auf sie zu richten. Sein Atem kam in kurzen Stößen. Sie konnten nur noch warten. Clare starrte auf den verlassenen Strand; es war schwer zu glauben, dass hier an anderen Tagen Drachen flogen, Hunde tollten und Familien ihre Wochenendausflüge genossen. Ragnar stöhnte und verdrehte die Augen.
    »Komm schon, Ragnar.« Clare strich über sein Gesicht. »Bleib bei mir.« Sie lehnte ihn gegen die Tür und ging ans Heck des Wagens, um nach Wasser zu suchen. Als sie zurückkam, war das Blut aus der Stirnwunde über seine Lippen gelaufen. Sie besprenkelte seinen Mund mit Wasser.
    »Sprich mit mir, Ragnar. Sag mir, wer das getan hat.«
    »Engel«, lallte er.
    »Noch nicht«, widersprach Clare. »Noch keine Engel für dich.« Sie drückte seinen blutigen Kopf an ihre Brust und zählte die Sekunden.
    Endlich ein Hubschrauber, sie konnte ihn hören. Ragnar schob die Hand Zentimeter um Zentimeter über den Sitz, als würde er nach etwas suchen. Doch da war
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