Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutinsel

Blutinsel

Titel: Blutinsel
Autoren: Ulrich Hefner
Vom Netzwerk:
in das Ruderhaus. Und dann ertönte nach einem kurzen Augenblick unheilvoller Stille ein Heulen, es klang wie der Gesang eines verwundeten Wales. Gleichzeitig lief ein Zittern durch das Schiff, und der Vortrieb erstarb, so dass der Kapitän zu Boden geschleudert wurde.
    » Wir haben … wir haben etwas gerammt! « , schrie der Rudergänger.
    Der Kapitän raffte sich auf und stürzte zur Tür. Als er sie öffnete, erfasste ihn eine mit Gischt durchtränkte Böe. Im trüben Licht der Scheinwerfer erkannte er den Felsen, der an der Backbordseite in die Höhe ragte.
    » Die Shoals, wir sind mitten in den Southern Shoals! « , rief er dem Steuermann zu.
    » Aber das kann nicht sein, wir haben doch erst das Feuer von Fenners Rock passiert « , murmelte Kapitän Haywood, als sich das Schiff aufbäumte. Erneut traf eine Welle den Rumpf, und die Jonathan Sincalir rollte nach Backbord. Haywood hielt sich an der Reling fest, doch die Wucht der Welle war zu stark. Das metallische Stöhnen, als das scharfkantige Gestein die Wandung zerschnitt, war das letzte Geräusch, das er vernahm, bevor er den Halt verlor und in den schwarzen Schlund der tobenden See stürzte. Doch sie verschlang ihn nicht sogleich, sein Körper schlug hart auf dem kalten Gestein auf, und die Wucht des Aufpralls brach ihm das Rückgrat. Regungslos lag er auf dem Felsen, der hoch aus dem Meer aufragte. Zur Untätigkeit verdammt, musste er mit ansehen, wie sich das Heck der Jonathan Sinclair hoch aufreckte und das Schiff wie ein Pfeil in der Tiefe verschwand. Ein Stöhnen kam über seine Lippen. Wie durch einen Schleier sah er das Ende des Frachters, der durch die starke Unterströmung in dem Meeresgebirge der Southern Shoals, unmittelbar vor der Insel Hell’s Kitchen Island gelegen, in die Tiefe gezogen wurde und mit Mann und Maus versank. Als ein Brecher den Felsen traf und ihn mit sich riss, war es für ihn wie eine Erlösung.
    Der Kapitän gehört zu seinem Schiff, war der letzte klare Gedanke, den er im Diesseits dachte, bevor ihn die eisige See verschlang und auf den Grund der Southern Shoals zu seinem kühlen Grab geleitete.
    Die Jonathan Sinclair war nur drei Minuten, nachdem sie gegen die scharfkantigen Klippen von Feargalls End gestoßen war, in den Fluten des Atlantiks gesunken. Keiner überlebte das Unglück. Sechsundvierzig Menschen fanden am Morgen des 19. April im Jahre 1971 den Tod – und was das Meer sich geholt hatte, das gab es niemals wieder her … es sei denn …

Sechsunddreißig Jahre später …

Norwood, Massachusetts,
    12 . März 2007 , 07 . 35 Uhr (Montag)
    Der grüne Bus des Cedar Junction Department of Corrections fuhr mit mäßiger Geschwindigkeit die Maine Street hinab. Norwood lag noch knapp eine Meile entfernt. Der Fahrer gähnte und rieb sich die Augen. Vor zwanzig Minuten war der Bus im Staatsgefängnis von Cedar Junction losgefahren, um einige Gefangene nach Boston in eine zahnmedizinische Klinik zur Behandlung zu bringen. Vier schwere Jungs, gefesselt an Armen und Beinen, zusammengekettet und fest mit dem Bus verbunden, lagen träge in den Sitzreihen und ließen gelangweilt die Landschaft an sich vorüberziehen. Zweihundert Jahre Knast wurden von den beiden Wachmännern bewacht, die in den hinteren Reihen des Busses Platz genommen hatten und, mit Schrotgewehren bewaffnet, argwöhnisch die Gefangenen beobachteten.
    Die Männer in den gelben Overalls des Gefängnisses von Cedar Junction machten es sich ob der frühen Stunde so bequem, wie es nur möglich war.
    » Hey Dan! « , rief Aufseher Bloomfield einem der Gefangenen zu. » Ich will deine Hände sehen, verdammt! «
    Dan Lukovic, der Angesprochene, ein Mörder, der noch vierzig Jahre in Cedar Junction zu verbüßen hatte, war der gefährlichste unter den Insassen. Zwei erfolglose Ausbruchsversuche hatte er bereits hinter sich; bei einem hatte er einen Wachmann als Geisel genommen, bevor ihn der gezielte Schuss eines Scharfschützen außer Gefecht setzte. Ihm galt Aufseher Bloomfields besonderes Augenmerk.
    Lukovic nahm seine Hände hinter dem Rücken hervor und reckte sie in die Höhe, soweit er durch die Fesseln konnte.
    » Schon besser, und keine Tricks. «
    » Schon gut, Officer Bloomfield « , antwortete Lukovic gedehnt. » Solange ich solche Schmerzen an der Backe habe, will ich nichts weiter als einen Zahnarzt. «
    » Dann lass deine verdammten Hände dort, wo ich sie sehe « , fluchte Bloomfield.
    » Ich freu’ mich schon auf die Tussis « , flüsterte Frank
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher