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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Faro
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Starre kroch durch seinen Körper. Der
Chef und die alte Frau schienen gar nichts mehr zu spüren, sie standen nur da und
kniffen die Augen zusammen, gegen die der Regen prasselte. Endlich wurde das Grau
weit vorne zu einem blassen Orange und dann immer schneller zu einem grellen Orangerot,
wie eine Morgendämmerung über den Wellen. Zwei Boote der Wasserrettung kehrten zurück.
Das erste hielt auf den Steg zu, auf dem sie standen, das zweite nahm in einem Bogen
Kurs auf eine weiter entfernte Landestelle. Das erste Boot bremste ab und ließ sich
dann die letzten Meter gegen den Steg treiben, weißer Schaum klatschte gegen die
Pfosten. Männer in gelbem Ölzeug kletterten steifbeinig auf die nassen Holzbretter,
sie schlugen die Kapuzen zurück, Wasser rann aus ihren Haaren und tropfte von ihren
Nasen. Krinzinger und Raffael Gleinegg und zwei, die sie nicht kannten. Die Erschöpfung
war ihnen allen ins Gesicht geschrieben. Und die Hoffnungslosigkeit. Raffael Gleinegg
blieb am äußersten Stegrand stehen und starrte auf das Wasser zurück, Krinzinger
kam auf sie zu. Er war zu müde zum Salutieren.
    »Das Boot
treibt kieloben drüben bei der Falkenwand. Wir haben alles abgesucht, jetzt übernehmen
die von St. Gilgen. Aber da ist keine Hoffnung mehr. Ich versteh das nicht. Der
Edi Schmutz war doch nie ein Segler nicht. Wieso ist der heute rausgefahren? Ausgerechnet
heute? Ich versteh das einfach nicht.«
    »Kollege
Krinzinger«, sagte Pestallozzi, »schau zu, dass du dir was Warmes anziehst. Wir
kommen dann nach, der Leo und ich.«
    Krinzinger
schnaufte und nickte, dann stapfte er davon. Pestallozzi sah Kathi Luggauer und
Leo neben sich an. Leo schlotterte vor Kälte, das Gesicht der alten Frau war so
weiß und durchscheinend wie ein Wachstuch. Sie mussten alle ins Trockene, sonst
würde das Unwetter noch mehr Opfer fordern. Auch Raffael Gleinegg drehte sich endlich
vom Wasser weg und kam auf sie zu, so müde und gebückt wie ein sehr alter Mann.
Er schien nichts wahrzunehmen, nur der Kathi Luggauer blickte er ins Gesicht und
schüttelte den Kopf, langsam, dann wollte er weitergehen.
    »Herr Gleinegg«,
sagte Pestallozzi. »Wir müssen reden.«

III
     
    Leo fühlte sich nicht wirklich wohl.
Genauer gesagt, echt beschissen. Er schwitzte unter den Achseln und auf den Handflächen,
und außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass ihn alle beobachteten. Na ja, nicht
alle vielleicht, er hatte ja zum Glück noch keine Paranoia. Aber diese mandeläugige
Brünette dort drüben ließ ihn bereits seit seinem Eintreten nicht aus den Augen.
Dabei war er nun wirklich cool und lässig herumspaziert und hatte sich umgesehen.
Am unverfänglichsten für den Beginn waren die Regale mit den Motorzeitschriften
gewesen, dort hatte er sich gleich einmal mit einem Stapel Motocrossmagazinen eingedeckt.
Mit einem Haufen Papier unterm Arm fühlte man sich in so einem Etablissement gleich
viel besser. Dann war er ebenso cool und lässig zu dem Tisch mit den Neuerscheinungen
hinübergeschlendert. Jede Menge Weiberkram, Beziehungsratgeber und solches Zeug,
für das unschuldige Wälder am Amazonas abgeholzt wurden. Aber dann hatte er diese
Reportage über die arabische Revolution entdeckt, von diesem Journalisten, der jeden
Abend aus Kairo und Tunis berichtete. Er hatte sich das Taschenbuch ebenfalls unter
den Arm geklemmt und sich nun beinahe schon wie zu Hause gefühlt. In dieser Buchhandlung.
Jetzt fehlte ihm nur noch ein Roman. Auch wenn er das ja selbst zum Schreien fand!
Ein Roman! Aber er war einfach felsenfest entschlossen, seine Bildung, nun ja, zu
vervollkommnen. Seitdem der Chef diesen Schostakowitsch auf Anhieb erkannt hatte.
Das hatte er ja zuerst für einen Scherz gehalten. Aber dann hatte er am Abend noch
diesen Schostakowitsch gegoogelt und sogar das Mafiastück auf You Tube entdeckt:
Walzer Nr. 2. Wahnsinn! Der Chef war echt gebildet! Und dem würde er ab sofort nacheifern,
und nichts konnte ihn davon abhalten, jawohl!
    Leo steuerte
entschlossen die Romanabteilung an. Russisch, Französisch, Gegenwartsliteratur,
Klassik. Ein einziges Dickicht. Wie der Fall, in dem sie jetzt wochenlang herumgestochert
hatten. Er sah plötzlich wieder das Wachzimmer vor sich, wo sie alle gesessen waren,
mit klappernden Zähnen. Der Krinzinger hatte unentwegt Tee gekocht, der Gmoser hatte
die alte Kathi Luggauer nach Hause gefahren und die Hanni Loibner verständigt. Der
Chef war nur dagesessen und hatte in seinen zerknitterten Aufzeichnungen
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