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Blutige Seilfahrt im Warndt

Blutige Seilfahrt im Warndt

Titel: Blutige Seilfahrt im Warndt
Autoren: Elke Schwab
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ihnen, die die Decke vor Einbruch sicherten, senkten sich und rückten vor, bis sie fast an die Kohlewand anstießen, und fuhren wieder hoch.
    In der Zwischenzeit rumpelte und krachte es brachial von der anderen Seite. Schnur und Ann-Kathrin drehten sich erschrocken um. Remmark erklärte schreiend, dass die Kohle gerade auf den nächsten Panzer in der Fußstrecke fiel und durch den Brecher gefahren wurde. Große, unregelmäßige Kohle-und Gesteinsbrocken fuhren auf der einen Seite in den Kasten von der Größe eines VW-Busses hinein und kamen am anderen Ende zerkleinert wieder heraus, wo der Transport ebenfalls auf einem schweren Kettenförderer fortgesetzt wurde.
    Hinter den Schilden lag eine Aushöhlung, die in totaler Schwärze versank. Der Blick der Staatsanwältin blieb genau dort haften. Sie fühlte sich magisch angezogen – als sei sie immer noch das neugierige Mädchen, dem keine Gefahr zu groß war. Sie beugte sich vor, um durch den schmalen Spalt zwischen zwei Schilden hindurchzuschauen, als Remmark sie an ihrem langen Grubenmantel packte und zurückzog.
    »Halt, Frau Staatsanwältin! Der Raum hinter den Schilden ist tabu! Die ungeschützte Stelle, die nach dem Abbau hinter dem Streb zurückbleibt, nennt man den Alten Mann .«
    »Warum wird der nicht abgestützt?«
    »Weil alle Versuche, diesen Raum zu sichern, zu teuer wären. Und da der Kohleabbau ohnehin schon zu teuer ist, wird dafür kein Geld investiert.«
    »Klingt gefährlich.«
    »Ist es auch! Wer dort verschüttet wird, kann nicht mehr geborgen werden.«
    Mit schnellen Schritten entfernte sich Remmark, winkte den beiden Besuchern ihm zu folgen und steuerte die nächste Kulibahn an.
    »Wo fahren wir jetzt hin?«, fragte Schnur, als sie sich wieder hintereinander in die engen Sitze quetschten.
    »Zur Zwischensohle. Dort fährt uns die nächste Kulibahn zur sechsten Sohle.«
    »Ist ihr Kollege auf der sechsten Sohle verunglückt?«
    »Möglich.«
    Schnur war es ganz recht, dass er diese Entfernungen nicht laufen musste. Doch kaum hatte er diesen Gedanken ausgedacht, hieß es: »Aussteigen! Den Rest müssen wir zu Fuß zurücklegen.«
    Nach einem Kilometer erreichten sie den Gustavschacht.
    »Hier muss es passiert sein«, sagte Remmark.
    »Hier kann es nicht passiert sein«, widersprach Schnur.
    »Wir haben uns auch schon die Köpfe darüber zerbrochen«, gab Remmark zu. »Er muss hier hinaufgestiegen sein. Vielleicht fiel er in Ohnmacht und stürzte in den Schacht.« Er zeigte auf eine metallene Treppe, die an der Außenseite des Schachtes bis zum Dach des Korbs führte.
    »Auch die Theorie funktioniert nicht.« Schnur hustete und krächzte weiter: »Der Abstand zwischen dem Toten und dem Fahrstuhl …«
    »… Korb …«
    »… war dafür viel zu groß.«
    »Wie groß?«, hakte Remmark nach.
    »Nach den Messungen der Spusi beträgt der Abstand zweihundertfünfzig Meter.«
    Remmark zog seinen Helm aus und kratzte sich am Kopf. Seine grauen Haare lagen wie ein lockiger Kranz um die kahle Stelle an seinem Hinterkopf. Er schwieg eine Weile. Nur die Geräusche einiger entfernter Maschinen und der starke Luftzug der Bewetterung waren zu hören. Dann meinte er: »Okay! Ich habe eine Idee, wie es passiert sein könnte.«
    »Wie?«
    »Pitt hatte mir schon gleich morgens im Zechensaal kurz vor der Anfahrt zu verstehen gegeben, dass er sich nicht wohlfühlt. Ich wollte ihn heimschicken, aber er meinte, es sei nicht so schlimm. Vermutlich wurde es dann doch zu einer ernsten Sache und er ist über Bandberg II zur fünften Sohle hochgefahren.«
    »Vermutlich? Sie wissen also nicht, was Ihre Leute so während der Schicht treiben?«, hakte Schnur nach.
    »Doch! Auf die Jungs ist Verlass«, beharrte Remmark. »Wenn Pitt wirklich zur fünften Sohle gefahren ist, ohne sich bei mir abzumelden, dann hat er einem seiner Kameraden Bescheid gesagt.«
    »Aber der Kollege müsste diese Mitteilung doch an Sie weitergeben!« Schnur spürte, dass hier etwas nicht stimmte.
    »Kann sein, dass derjenige es vergessen hat. Ich habe mich schon umgehört, aber bis jetzt hat mir keiner bestätigt, dass Pitt sich bei ihm abgemeldet hätte.«
    »Okay.« Schnur winkte ab. »Und mit welchem Gerät ist Dempler auf die fünfte Sohle gekommen? Das Wort habe ich eben nicht richtig verstanden.«
    »Bandberg II.«
    »Was ist das?«
    »Damit meine ich einen schräg nach oben führenden Stollen mit einem Förderband, das die Kohle von der sechsten Sohle zur fünften Sohle fährt, weil sie nur von
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