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Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Blutholz: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Blutholz: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Andreas Liebert
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Güte und Macht für unwürdig, wenn sie unzählige Welten erschaffen kann, aber nur eine endlich begrenzte Welt erschafft.“
    Bellarmin hob erstaunt und interessiert zugleich die buschigen Augenbrauen.
    „Daher habe ich stets behauptet, es existierten unzählige Welten ähnlich dieser Erde, welch Letztere ich mit Pythagoras nur für einen Stern halte, wie die zahllosen Planeten und Gestirne.“ Er hielt erschöpft kurz inne und holte tief Luft. „Alle diese unzähligen Welten machen eine unendliche Gesamtheit aus im unendlichen Raum, und dieser heißt das unendliche All, so dass doppelte Unendlichkeit anzunehmen ist, nach Größe des Universums und nach Zahl der Weltkörper.“ Seine Stimme wurde mit jedem Satz fester. „In diesem unendlichen All sehe ich eine universelle Vorsehung, kraft derer jegliches Ding lebt und sich bewegt und in seiner Vollkommenheit existiert.“ Gebetsmühlenartig hatte er diese Sätze wiederholt. Schon damals in Venedig und erst recht hier in Rom. Während er die ob seiner Dreistigkeit zum Teil ungläubig glotzenden Mitglieder des Offiziums der Reihe nach ansah, machten sich seine Gedanken auf in die Unendlichkeit. Unendlichkeit, das war für ihn zum einen der Sternenhimmel. Unendlichkeit bedeutete aber auch, auf das ruhig daliegende, tiefblaue Meer hinauszublicken und am Horizont keine Unterscheidung mehr zwischen den Elementen Wasser und Luft zu erkennen. Unendlich konnte ein im Spätsommerwind wogendes Kornfeld sein, das mit seiner gelben Farbe zu dieser Jahreszeit die Landschaft seiner Heimat prägte, oder der Monte Cicala und sein ferner Bruder, der Vesuv. Beide riefen in ihm die Sehnsucht nach dem Wissen, was wohl hinter diesen Bergen sein mochte, hervor. Giordano hatte etwas Zeit gewonnen.
    „Gott …“
    „Du wagst es, den Namen des Allmächtigen in den Mund zu nehmen?“, wurde Giordano jäh erneut unterbrochen.
    „Gott ist mächtig und groß und kann viele Welten schaffen.“ Nun ließ er sich nicht mehr beirren. Noch einmal nahm er einen Anlauf. „Ihr gottverdammten, scheinheiligen, dummen Esel!“ Seine Wut war wieder erstarkt, hielt die körperliche Schwäche in Bann. Ein lautes Murren ging durch das Offizium. Die Wachen, die ihn zum Verhör gebracht hatten, machten sich bereit, ihn auf ein Zeichen des Kardinals Bellarmin wieder in seine Kerkerzelle zu bringen.
    „Gott ist zu groß, als dass er sich mit dieser einen, kleinen Welt zufriedengeben würde.“ Giordano redete sich langsam in Rage. „Seht ihr Narren denn nicht, dass sich die Gestirne bewegen, dass sie nicht, wie ihr den Menschen glauben macht, am Firmament festgenagelt sind? Nein, ihr wisst es nur zu gut. Ihr seid die wahren Ketzer!“ Seine Stimme überschlug sich förmlich. „Ihr macht Gott klein, um euch zu erhöhen.“ Das Murren in den Reihen der Inquisitoren schwoll zu einem Donnern. Die Stimmung im Offizium näherte sich dem Siedepunkt.
    „Euch geht es nur darum, dass ihr den Mittelpunkt der Welt darstellt. Oh, ihr kleingeistigen, egoistischen, biblischen Buchhalter, merkt ihr denn nicht, wie ihr den Großen, den Allmächtigen dadurch verhöhnt?“
    Die Inquisitoren starrten gebannt auf den Vorsitzenden. Was würde er tun? Tatsächlich war nun auch Bellarmin der ganzen Situation überdrüssig. Er gab ein Zeichen, und sofort ergriffen die beiden Wachen den Angeklagten, um ihn wieder abzuführen.
    „Ihr seid es, die ihr endlich zugeben müsst, was ihr doch längst schon wisst. Ihr seid die wahren Ketzer.“ Das Geschrei des Gefangenen hallte noch durch die steinernen Mauern, als er schon längst die unbehauenen Steinstufen, die zu den Kerkern der Engelsburg führten, hinuntergeschleift wurde. In seiner Zelle angekommen, fiel Giordano sofort in eine tiefe Ohnmacht. Er hörte nicht mehr die unflätigen Witze, die die Wachen über ihn machten, und er hörte nicht das Flehen und Wimmern der Mitgefangenen, die zur Folter abgeholt wurden.
    Mitten in der Nacht erwachte er. Es war stockfinster, nur das Rascheln neben ihm im Stroh verriet, dass er seine zwei mal zwei Meter große Zelle diese Nacht wieder mit ein paar Ratten teilte. Die Wachen hatten die Fackeln im Gang vor der Zelle gelöscht. Von weitem war ihr Schnarchen durch die rostigen Gitterstäbe zu hören. Die absolute Finsternis ließ die Gedanken an die Unendlichkeit wieder in ihm wach werden. Doch wohin hatte sie ihn gebracht, die Unendlichkeit? Giordano fühlte Tränen in sich aufsteigen. Er wollte das Gefühl unterdrücken, aber es gelang ihm
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