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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
Autoren: Florian Sitzmann
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die nun Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben heißen, genannt. Zu ihnen gehören insbesondere:
     
    Hilfen
zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, einschließlich Leistungen zur Beratung und Vermittlung, Trainingsmaßnahmen und Mobilitätshilfen,
Berufsvorbereitung, einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung,
berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen,
berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden,
Überbrückungsgeld.
Sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten.
    Diese Maßnahmen werden gewährt, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, (wieder-)herzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.
    So etwa kann man die Unterstützung nachlesen. Den Menschen, die behindert sind und die beraten werden, sollen Möglichkeiten eröffnet werden, die an ihre Behinderung angepasst sind. Möglichkeiten zu eröffnen, das bedeutet aber wohl kaum zu verbalisieren, was jemand nicht kann!
    Unten behindert, oben behindert – dachte ich damals. Was nun? Ich weiß noch, wie mies ich mich fühlte. Was sollte ich denn mit dieser unqualifizierten Aussage anfangen? Heim rollen und heulen? Ich dachte in diesem Moment schon an die anderen Menschen, die nicht eine solche mentale Kraft in sich tragen, wie ich sie immer spüren durfte. Ich selbst erlebe mich als einen Menschen, der seinen Weg geht, obwohl er keine Beine hat, und der sich nicht von einem rücksichts- und obendrein ahnungslosen Schreibtischkasper abhalten lässt. Jemand, der eigentlich darauf geschult und getrimmt sein soll, konstruktiv anzuleiten und gemeinsam mit dem Kunden herauszuarbeiten, dass, wenn das Eine nicht geht, es doch noch andere Optionen gibt. Wie verlassen Menschen dieses Amt, dachte ich mir damals, die nicht so selbstbewusst sind wie ich? Menschen, die gerade frisch auf einem Rollstuhl rollen, der breit ist wie eine Parkbank. Menschen, die jemanden an ihrer Seite brauchen, der ihnen dabei hilft, sich im Leben und im Beruf zurechtzufinden.
    Ich spürte damals eine Riesenwut. Mir wurde klar, dass man aufpassen muss, von wem man sich beraten lässt, wenn man keine Beine oder ein anderes Handicap hat.
     
    Gute Beratung erkenne ich unter anderem, wenn mein Gegenüber:
erkennen kann, dass ich arbeiten WILL,
seinen Angebotskatalog wie das Vaterunser herunterbeten kann und auch Querverweise auf verwandte Berufe anführt,
mir das Gefühl gibt, dass man diese Aufgabe zusammen bewältigen kann – denn der Ratsuchende hat vielleicht niemand anderen, der sich auskennt oder ihn unterstützt, verbindliche Aussagen macht und mich dort abholt, wo ich stehe,
aktiv ist und im Rahmen seiner Möglichkeiten zielstrebig und produktiv handelt.
    Um das zu beurteilen, braucht man ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbsterfahrung. Ich wusste bald, dass ich nicht alles glauben darf, was man mir erzählt, mag mein Gegenüber noch so kompetent wirken. Mir wurde klar, dass ich wach sein und die Dinge immer wieder reflektieren und auf meine Bedürfnisse hin überprüfen muss.
    Ich habe Menschen getroffen, die nach solch einer Beratung kurz davor standen, aus dem Fenster zu springen. Menschen, die sich auf einmal völlig lebensunfähig fühlten und dachten, sie könnten rein gar nichts mehr mit sich anfangen. Nicht mehr laufen, nicht mehr arbeiten, nicht mehr leben, nichts.
    Meiner Meinung nach sollten Behinderte bei ihrer Berufswahl grundsätzlich von Menschen mit Handicap beraten werden, weil die genau wissen, wie es sich anfühlt, wenn man an seinem eigenen Nutzen und Können zweifelt, weil der Körper nicht der Norm entspricht. Solche Menschen können sich vorstellen, was es in einem auslöst, wenn man durch den Besuch beim Arbeitsamt registriert, dass es schön wäre, wenigstens eine Null zu sein, da man doch in Wirklichkeit eine -1 oder -2 ist. Das muss man selbst erlebt haben, um solche Beratungssituationen richtig einschätzen zu können. Wer hier aus eigener Erfahrung schöpfen kann, wird in der Lage sein, die Beratungsform entsprechend anzupassen.

    Am meisten aufgebaut
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