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Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)

Titel: Bloß keine halben Sachen: Deutschland - ein Rollstuhlmärchen (German Edition)
Autoren: Florian Sitzmann
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oder schlecht man diesen anschließend verarbeitet. In einem Schockzustand kann man nicht planen und regeln, denn man hat mit Gefühlen und Ängsten zu kämpfen. Außerdem ist man meist erst einmal bewegungsunfähig – im wahrsten Sinne des Wortes. Das bedeutet auch, dass man nicht wie wild recherchieren oder sich umfassend erkundigen kann, welche Möglichkeiten es gibt, damit das Leben zwar verändert, aber doch gut weitergehen kann. Nicht selten brauchen sogar noch die Angehörigen die Hilfe des eigentlich Betroffenen, nach dem Motto: »Macht euch mal keine Sorgen um mich, ich schaffe das schon!«
    Ich persönlich hatte das im Gefühl, dass ich es schaffe, aber beim Wie, bei dem Markt der Möglichkeiten benötigte ich die Navigation von Spezialisten – und das sind für mich Menschen, die sich mit Schockzuständen, Behinderungen, Rehabilitation und Hilfe bei der Gesundung auskennen.

    Eine der vielen Definitionen, die ich zum Begriff der Behinderung kenne, lautet: Unter Behinderung versteht man landläufig eine dauerhafte körperliche oder psychische Beeinträchtigung, die die gesellschaftliche und wirtschaftliche Teilhabe einer Person beeinträchtigt. Verursacht wird dies durch das Zusammenspiel ungünstiger Umweltfaktoren (Barrieren) und Eigenschaften der behinderten Person, die die Überwindung der Barrieren erschweren oder unmöglich machen.
    Bei der Definition von Behinderung unterscheidet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) drei Begrifflichkeiten:
    Aufgrund einer Erkrankung, angeborenen Schädigung oder eines Unfalls als Ursache entsteht ein dauerhafter gesundheitlicher Schaden – impairment. Der Schaden führt zu einer funktionalen Beeinträchtigung der Fähigkeiten und Aktivitäten des Betroffenen – disability. Die soziale Beeinträchtigung
ist Folge des Schadens und äußert sich in persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Konsequenzen – handicap.
    Behindernd wirken in der Umwelt von behinderten Menschen sowohl Alltagsgegenstände und Einrichtungen (physikalische Faktoren) als auch die Einstellung anderer Menschen (soziale Faktoren).
    In einer Tageszeitung las ich, dass rund 6,6 Millionen Deutsche amtlich als schwerbehindert anerkannt sind. Bei vier von fünf ist dabei eine Krankheit Grund ihrer Behinderung. Insgesamt gelten rund zehn Prozent der Deutschen als behindert. Das zeigt, dass wir Menschen mit Beeinträchtigung keine Randgruppe sind. Wir sind sogar ein Markt, was viele, aber doch noch zu wenige Unternehmer längst erkannt haben.
    Jeder Mensch, der in eine Extremsituation kommt, braucht andere, die ihn auffangen und ihm zeigen, was er trotz seiner neuen (scheinbaren) Immobilität alles anfangen kann. Menschen, die mitdenken und die sich für das Thema interessieren, nachdem man die Räume der Reha-Klinik hinter sich gelassen hat. In der oben erwähnten Definition lese ich dies ganz besonders im ersten Abschnitt. Das Zusammenspiel Behinderung  – Unfall  – Leben und damit auch Austausch beginnt für mich bereits in den ersten Stunden.

    Ich hatte großes Glück. Familie, Freunde und Ärzte unterstützten mich in vollem Maße. Mit Georg Adamidis, dem Arzt, der mir 1992 das Leben rettete, bin ich bis heute eng befreundet. Einsam wurde ich erst, als ich in die Reha kam, also an dem Ort, der mich in meiner neuen Situation auffangen und wieder mobil machen sollte. Für die Leser, die mein erstes Buch nicht kennen, möchte ich auf diese Situation noch einmal eingehen und damit gleich die erste Anregung geben, die für mich Inklusion und Gleichheit erleichtern würde:

    Holt die Reha-Kliniken aus dem Wald und packt sie dorthin, wo das Leben pulsiert!

    Waren Sie schon mal in einer Reha-Klinik, als Patient oder als Besucher? Viele Reha-Kliniken sind für mich ein Ort des Grauens. Man hängt aufeinander, die Rollstühle stehen in den Gängen herum und man will dem gern mal für eine Weile entfliehen. Leider kann es passieren, dass man sich dabei noch mehr Blessuren zuzieht, denn diese Kliniken liegen bevorzugt im Wald oder auf Hügeln, und das heißt, dass man auf seiner Flucht unter Umständen mit Seifenkistengeschwindigkeit dem Tal entgegenrast. Und was den Rückweg angeht, da lasse ich Sie gern mal in meinem Rollstuhl Platz nehmen und Sie zu meiner Reha-Klinik hoch-rudern. Um das zu schaffen, bräuchte man Arme wie Popeye. Die Menschen, die nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit dort landen, haben die aber für gewöhnlich noch nicht. Im Gegenteil! Die Patienten, die
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