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Blink! - die Macht des Moments

Titel: Blink! - die Macht des Moments
Autoren: Malcolm Gladwell
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dabei, und nun beginnt das Experiment interessant zu werden.
     Sie schlossen nämlich jede der Testpersonen an einen Apparat an, mit dessen Hilfe sie die Schweißbildung an den Handflächen
     messen konnten. Wie die meisten unserer Schweißdrüsen reagieren auch die der Handfläche nicht nur auf die Außentemperatur,
     sondern auch auf Stress und psychische Belastung – aus diesem Grund bekommen wir feuchte Hände, wenn wir nervös sind. Mithilfe
     ihrer Messungen fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Testpersonen bereits bei der zehnten Karte begannen, Stresssymptome
     zu zeigen – 40 Karten bevor es ihnen dämmerte, dass etwas |16| mit den roten Karten nicht stimmte. Noch wichtiger ist, dass sich zu diesem Zeitpunkt auch bereits das Verhalten der Spieler
     änderte: Sie begannen, die blauen Stapel zu favorisieren und immer weniger Karten von den roten zu nehmen. Mit anderen Worten,
     die Testpersonen hatten das Spiel verstanden, lange bevor ihnen klar wurde, dass sie es verstanden hatten: Unbewusst hatten
     sie ihr Verhalten verändert, bevor sie sich auf einer bewussten Ebene klar gemacht hatten, wie sie sich verhalten sollten.
    Natürlich handelt es sich bei diesem Experiment nur um ein einfaches Kartenspiel mit einer Hand voll Testpersonen und einem
     Apparat, der die Aktivität von Schweißdrüsen misst. Trotzdem zeigt es uns eindrucksvoll, wie unser Gehirn arbeitet. Es handelt
     sich um eine Situation, in der einiges auf dem Spiel steht, schnelles Handeln gefragt ist und die Teilnehmer innerhalb kurzer
     Zeit eine Menge neuer und verwirrender Informationen verarbeiten müssen. Aus diesem Experiment können wir lernen, dass unser
     Gehirn zwei verschiedene Strategien verfolgt, um eine Situation zu verstehen. Die erste kennen wir sehr gut: Es ist die bewusste
     Strategie. Wir denken über unsere Erfahrung nach und kommen schließlich zu einem Ergebnis. Diese Strategie verfährt logisch
     und zielgerichtet. Wir benötigen allerdings 80 Karten, um an diesen Punkt zu gelangen. Es gibt jedoch noch eine zweite Strategie,
     die die Lage sehr viel schneller erfasst. Sie ist intelligenter als die erste, denn mit ihrer Hilfe versteht man fast augenblicklich,
     dass die roten Karten problematisch sind, und sie zeigt bereits nach zehn Karten Wirkung. Der Nachteil dieser Strategie ist,
     dass sie zumindest anfangs vollständig unter der Oberfläche unseres Bewusstseins, nämlich im Unbewussten operiert. Das Unbewusste
     schickt seine Botschaften durch undurchsichtige Kanäle und wirkt indirekt, zum Beispiel auf die Schweißdrüsen der Handflächen.
     Auf diese Weise kommt unser Gehirn zu bestimmten Schlüssen, ohne uns direkt darüber zu informieren, dass es gerade dabei ist,
     Schlüsse zu ziehen, oder gar, welche das sind.
    Diese zweite Strategie ist diejenige, die Evelyn Harrison, Thomas |17| Hoving und die griechischen Experten anwendeten. Sie wogen nicht die verschiedensten Beweise und Gegenbeweise gegeneinander
     ab. Stattdessen bezogen sie nur das ein, was sie auf einen Blick wahrnehmen konnten. Diese Denkweise beschreibt Gerd Gigerenzer,
     Kognitionspsychologe und Leiter des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung als »schnell und einfach«. Sie warfen
     einfach einen kurzen Blick auf die Statue, und irgendwo in ihrem Gehirn lief augenblicklich eine Reihe von Prozessen ab. Noch
     bevor sie einen bewussten Gedanken formuliert hatten, spürten sie etwas, ähnlich wie die Testpersonen, die plötzlich feuchte
     Hände bekamen. Im Falle von Thomas Hoving war es das unpassende Wort »frisch«, das ihm plötzlich in den Sinn kam. Im Falle
     von Angelos Delivorrias äußerte es sich als ein Gefühl »intuitiver Abneigung«. Georgios Dontas schließlich spürte eine unsichtbare
     Wand zwischen sich und dem angeblichen Kouros. Sie wussten nicht,
warum
sie es wussten. Aber sie
wussten
es.
    Der innere Computer
    Der Teil unseres Gehirns, der diese schnellen und einfachen Schlüsse zieht, nennt sich auch adaptives Unbewusstes, und die
     Erforschung dieser Entscheidungsprozesse ist eines der wichtigsten Gebiete der modernen Psychologie. Dieses adaptive Unbewusste
     hat nichts mit dem zu tun, was Sigmund Freud das Unbewusste oder Unterbewusstsein nannte und mit dem er einen mysteriösen
     und düsteren Ort voller Begierden, Erinnerungen und Fantasien meinte, die uns zu sehr verstören, als dass wir uns auf einer
     bewussten Ebene mit ihnen auseinander setzen wollten. Stattdessen können wir uns dieses adaptive
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