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Blinder Eifer

Blinder Eifer

Titel: Blinder Eifer
Autoren: Unbekannter Autor
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verschrieben. Und die halbe Stadt hielt sich mit Prozac auf den Beinen. Waren die Bürger in Santa Fe immer so gut drauf, weil sie so viele Medikamente nahmen? Sie machte weiter, ihr Blick wanderte über die Seite, die von dem schmalen Strahl der Taschenlampe beleuchtet wurde.
    Als sie schließlich den letzten Eintrag gelesen hatte, schüttelte sie den Kopf. Die Nummer war nicht dabei. Nicht einmal die ersten beiden Ziffern - 75. Es gab nur 78er, 79er und 71er. Aber keine 75er. Enttäuscht schloß Mary das Buch. Dann hatte sie unrecht, und es war doch keine Rezeptnummer. Kamen Leute aus Española mit ihren Rezepten zu Dolly? Ganz selten mal, ja ...
    Sie fuhr auf, als das Telefon läutete. In der Dunkelheit klang es viel lauter als sonst. Da war jemand sehr stur, es klingelte und hörte gar nicht auf. Aber wenigstens hatte es Sunny aus seinem Versteck gelockt. Für ihn waren die explodierenden Töne vielleicht ein Zeichen, daß Mary in Gefahr war. Sie langte hinunter und kraulte ihn hinter den Ohren. Ein toller Kojote.
    Die Nummer. Mary kniff die Augen zusammen, um das Problem bis zum Ende durchzudenken. Denn sie war immer noch überzeugt, daß sie etwas mit einem Rezept zu tun hatte. Aber sie war nicht zu finden. Dann mußte sie davon ausgehen, daß es keine Rezeptnummer war. Oder ... Dolly hatte sie nicht in das Buch schreiben wollen!
    Mary saß in dem Kabuff der Apothekerin und schaute über die Theke in die Dunkelheit, in der die gespenstischen Formen der Regale allmählich sichtbar wurden. Sie kannte sie in- und auswendig, sie hatte ja oft genug dort aufräumen müssen. Dolly Schell hatte einen Ordnungstick, sie hielt sich wirklich an das abgedroschene Sprichwort »Ordnung ist das halbe Leben«. Wie oft hatte sie Mary beauftragt, nach den Regalen zu sehen und Shampoos, Färbepackungen, Gesichtscremes und Make-up-Utensilien wieder ordentlich hinzustellen. »Du weißt ja, wie die Leute sind, sie nehmen was heraus, tragen es woanders hin und lassen es da stehen.« Also mußte Mary die Regale abklappern und einzelne Artikel von den Glasstellflächen nehmen und sie dorthin zurücktragen, wo ihre Artgenossen, Haarpflegemittel oder Make-ups, standen. Clairol. Sebamed. Vichy. Mary konnte diese Litanei wie einen Rosenkranz herunterbeten. Sie war so vertraut damit, daß sie die Sachen blind gefunden hätte.
    Vielleicht war es albern und sentimental, aber Mary nannte sie insgeheim »Familien«. Die Familie der Revlon-Produkte, die Clairol-Familie, die Prell-Familie - die war sehr klein. Wenn sie zum Beispiel die große Flasche Almay-Shampoo zu den anderen Flaschen zurückstellte, stellte sie sich vor, wie die Verwandten applaudierten: Nett, daß du wieder da bist.
    Okay, es war albern und sentimental, aber wenigstens war es ein lustiges Spiel, und man ärgerte sich nicht mehr so über die lästige Pflicht, diese Regale aufräumen zu müssen. Und selbst Dolly Schells schrille Stimme kam einem dann weniger durchdringend vor. Cousine Dolly Schell, ermahnte sich Mary nun mit Schaudern. Die Familie Hope. Die war nun auf einen Menschen, auf sie, reduziert. Mary weigerte sich, Dolly in diesen klein gewordenen Kreis aufzunehmen.
    Und wenn sie nun nicht so entschlossen gewesen wäre, das Rezept zu finden, wäre sie völlig zusammengebrochen. Würde sie vielleicht noch. Sie legte den Kopf auf die Arme, richtete sich aber plötzlich wieder auf. Sunny war erneut verschwunden.
    Ein Geräusch! Unter Garantie die Tür, die sich mit einem schnalzenden Laut öffnete oder schloß. Jede Wette, daß sie aufging. Sunny konnte die Tür nicht aufdrücken und hinausgehen, das war klar. Mary kniff die Augen zusammen, schaute nach vorn in den Laden (denn von dort hatte sie das Geräusch gehört) und spähte in die dichten Schatten. Der Raum war entsetzlich finster. Doch obwohl sie das Gesicht nicht erkennen konnte, die angespannte Gestalt ihrer Cousine hätte Mary überall erkannt.
    Mary hatte Angst. Hier in dem Kabuff konnte sie nicht bleiben. Hinter dieser verschiebbaren Glasscheibe war sie ja wie ein Goldfisch im Glas. Sie bückte sich ein wenig, kroch leise zu der niedrigen Tür und dann hindurch. Sie gelangte an die Theke mit der Kasse, vor der die Regale mit Aspirin, Beruhigungsmitteln, Kopfschmerztabletten, Erkältungspillen und -kapseln standen. Aber auch hier war sie ein leichtes Ziel.
    Als sie den ersten Knall hörte, dem ein Lichtersprühregen folgte, begriff sie, daß Dolly nicht mal kurz vorbeigekommen war, um zu sehen, ob alles in
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